Jesus Christus ist der Herr! Phil 2, 11

Brosamen der Gnade

Vor den Herrn kommen

In Mt 15, 21–28 findet sich folgende Begebenheit: Der Herr Jesus trifft im Gebiet von Tyrus und Sidon auf eine kananäische Frau, die Ihn um Heilung für ihre Tochter bittet. Zunächst scheint der Herr sehr schroff zu reagieren:

21 Und Jesus ging aus von dort und zog sich zurück in das Gebiet von Tyrus und Sidon; 22 und siehe, eine kananäische Frau, die aus jenem Gebiet hergekommen war, schrie und sprach: Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter ist schlimm besessen. 23 Er aber antwortete ihr nicht ein Wort. Und seine Jünger traten herzu und baten ihn und sprachen: Entlass sie, denn sie schreit hinter uns her. Mt 15, 21–23

Dass die Jünger schroff reagierten und den Herrn baten, die Frau wegzuschicken, erstaunt nicht weiter, denn sie reagierten oft kleinherzig und schroff. Denken wir nur daran, wie Jakobus und Johannes Feuer über ein Dorf regnen lassen wollten, das den Herrn Jesus nicht aufnehmen wollte (Lk 9, 52–55), oder wie die Jünger Menschen daran hindern wollten, ihre Kinder zum Herrn Jesus zu bringen (Mt 19, 13. 14). Dass aber der Herr Jesus selbst (offenbar) schroff reagiert – Er antwortete der Frau nicht ein Wort –, ist ungewöhnlich. Hatte Er sonst nicht immer ein offenes Ohr für alle Nöte der Menschen? Erwies Er nicht allen Gnade, denen Er begegnete? Zog Er nicht umher durch alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen Mt 9, 35? Weshalb antwortete Er dann dieser armen Frau, die Ihn für ihre Tochter bat, nicht ein Wort?

Die Antwort ist in den Worten der Frau zu finden: Sie sprach den Herrn als Sohn Davids an. Zwar war und ist der Herr Jesus tatsächlich der Sohn Davids (vgl. etwa Mt 12, 23; Mt 21, 9. 15), doch nur für Israel. Denn der Sohn Davids ist Der, den die Israeliten als ihren Messias und König erwarten, Der, der nach Abschluss der jetzigen Gnadenzeit als König tausend Jahre über Israel herrschen wird, Der, in dem Israel alle irdischen Verheissungen zufallen. Israeliten hatten deshalb vom Sohn Davids etwas zu erwarten. So wurden auch etwa die zwei Blinden, die den Herrn auf diese Weise ansprachen, geheilt; ihnen geschah nach ihrem Glauben (Mt 9, 27–30). Wenn Israeliten sich an den Herrn Jesus als Sohn Davids wandten, war das also Ausdruck echten Glaubens; sie bezeugten dann, dass sie glaubten, dass Er ihr Messias sei. Doch so wie der Sohn Davids der ist, der Israel in die volle Segnung einführen wird, ist er auch der, der die Kanaaniter austreiben wird. Denn bereits bei der ersten Landnahme war zu den Israeliten gesagt worden: 1 Wenn der Herr, dein Gott, dich in das Land bringt, wohin du kommst, um es in Besitz zu nehmen, und viele Nationen vor dir vertreibt: die Hethiter und die Girgasiter und die Amoriter und die Kanaaniter und die Perisiter und die Hewiter und die Jebusiter, sieben Nationen, grösser und stärker als du, 2 und der Herr, dein Gott, sie vor dir hingibt und du sie schlägst, so sollst du sie ganz und gar verbannen; du sollst keinen Bund mit ihnen schliessen noch Gnade gegen sie üben 5. Mose 7, 1. 2. Entsprechend heisst es auch in Bezug auf das Tausendjährige Friedensreich: 21 und jeder Kochtopf in Jerusalem und in Juda wird dem Herrn der Heerscharen heilig sein; und alle Opfernden werden kommen und von ihnen nehmen und darin kochen. Und es wird an jenem Tag kein Kanaaniter mehr im Haus des Herrn der Heerscharen sein Sach 14, 21. Vom Sohn Davids hatten Kanaaniter also gar nichts zu erwarten als nur Vertreibung aus dem Land Israel. Wenn nun die kananäische Frau den Herrn Jesus als Sohn Davids ansprach, wandte sie sich just an Den, der sie und ihre Volksleute aus Israel vertreiben würde, also gleichsam an den Letzten, der ihr Gnade erweisen würde.

Indem die kananäische Frau den Herrn Jesus so ansprach, bewies sie, dass sie kein Verständnis davon hatte, wer Er in Beziehung zu ihr war. Sie hatte wohl einfach gehört, dass Er solchen, die Ihn als Sohn Davids angesprochen hatten, Gnade erwiesen hatte, und dachte wohl, dass Er, wenn sie Ihn nur auch mit diesem Ehrentitel ansprechen würde, ihr ebenfalls Gnade erweisen würde. Diesbezüglich war ihre Haltung nicht ganz aufrichtig. Denn statt mit echter Not des Herzens sich an den Einzigen zu wenden, der ihr helfen könnte, wandte sie sich an einen, der auch schon anderen geholfen hatte, in der Hoffnung, dass Er, wenn sie Ihm nur genügend Ehrerbietung entgegen bringen würde, ebenfalls helfen würde. Sie verhielt sich so, wie wenn sie von einer einflussreichen Person etwas erbeten wollte und wie wenn diese Person ihr ihre Bitte erfüllen würde, wenn sie nur genügend Hochachtung zum Ausdruck bringen würde. Insoweit gaukelte sie dem Herrn Jesus ein Stück weit etwas vor.

Verhalten wir uns nicht manchmal ganz ähnlich? Vielleicht möchten wir eine bestimmte Bitte unbedingt erfüllt wissen oder es plagt uns eine Not, in der wir uns Hilfe vom Herrn wünschen. Dann gelangen wir vor Ihn mit vielen, salbungsvollen Worten vor Ihn, «streichen Ihm Honig um den Mund», ereifern uns in Ehrerbietungen – alles in der Hoffnung, durch unsere vielen Worte Seinen Arm bewegen zu können. Doch das funktioniert nicht. 7 Wenn ihr aber betet, sollt ihr nicht plappern wie die von den Nationen; denn sie meinen, um ihres vielen Redens willen erhört zu werden Mt 6, 7. Was der Herr mehr als alles hasst, sind Unaufrichtigkeit und Heuchelei. Er will, dass wir aufrichtig vor Ihn kommen, dass wir uns nicht verstellen, dass wir Ihm unser Herz ausschütten, dass wir ehrlich zu Ihm sind. Ach, Er sieht doch ohnehin in unser Herz, weiss, was darin ist (vgl. 1. Sam 16, 7) – welchen Sinn hätte es, Ihm etwas vorzumachen?

Die richtige Anrede

Man könnte nun einwenden, dass es unangemessen war, gemäss den – wohl tatsächlich wenig durchdachten – Worten der kananäischen Frau zu reagieren. Hätte der Herr Jesus über diese «kleine Ungenauigkeit» nicht einfach hinwegsehen können? Welcher Unterschied bestand schon zwischen Sohn Davids und Herr? Gewiss, die meisten von uns hätten über diese «kleine Ungenauigkeit» hinweg gesehen, weil wir uns solche Ungenauigkeiten gewohnt sind. Gleicherweise sehen wir in der Regel auch über kleinere Verfehlungen hinweg, weil wir uns gewohnt sind, selbst Fehler zu machen. Fehler und Ungenauigkeiten gehören zu unserem täglichen Leben. Doch der Herr kennt keine solchen Fehler und Ungenauigkeiten. Er wägt jedes Wort ab, nimmt jedes Wort für voll, handelt stets in völliger Übereinstimmung zu allem, was Er von sich offenbart hat. Stellen wir uns nur vor, Er würde es ebenfalls nicht so genau nehmen mit dem, was Er selbst gesagt hat – wäre das nicht fatal? Worauf könnten wir uns dann noch verlassen? Müssten wir nicht bezüglich sämtlicher Offenbarungen Gottes fragen, ob Er wirklich dieses oder jenes gemeint hat? Alles müsste in Zweifel gezogen werden, wenn nicht völlig Verlass auf jedes einzelne Wort wäre. Dem Herrn sei Dank, dass dem nicht so ist! Alles, was aus Seinem Munde hervorgeht, ist wahrhaftig und zuverlässig. Diesen Massstab legt Er aber auch an unsere Worte an: Von jedem unnützen Wort, das die Menschen reden werden, werden sie Rechenschaft geben am Tag des Gerichts Mt 12, 36. Gleicherweise werden wir übrigens auch von jedem Gedanken und jeder Tat Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichts. Die Israeliten mussten sogar für unabsichtlich und unwissentlich begangene Verfehlungen Sühnopfer darbringen (3. Mose 5, 17). Das alles ist für uns unvorstellbar, weil wir nicht gewohnt sind, dass jede Kleinigkeit so genau beachtet und beurteilt wird.

Hoffentlich können wir uns aber wenigstens eine Vorstellung davon machen, dass das Gericht, das alle Menschen nach dem Tod erwartet (Hebr 9, 27), einem sehr strengen Richter gegeben sein wird. Denn die damit verbundene Frage, ob wir denn in diesem Gericht bestehen können, ist sehr ernst und sollte nicht voreilig bejaht werden. Wie schrecklich, wenn wir leichtfertig davon ausgehen, wir würden dann schon nicht für zu leicht befunden Dan 5, 27 werden, sich dann aber – wenn es schon zu spät ist – zeigen würde, dass dies ein Irrtum war! Machen wir uns deshalb nichs vor! 31 Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen! Hebr 10, 31.

Nur dann, wenn wir uns hundertprozentig sicher sein können, dass all unsere Verfehlungen und Übertretungen bereinigt sind, können wir dem Gericht ohne Furcht entgegen sehen. Würde noch in einem Punkt, sei er auch noch so gering, eine Unsicherheit bestehen, wir müssten uns vor dem Gericht mit grosser Furcht fürchten. Der Herr sieht und weiss alles! Deshalb gibt es auch nur einen einzigen Weg, dieses Gericht unbeschadet zu überstehen: Wir müssen dort gefunden werden, wo das Gericht bereits vorüber ist. Es ist wie mit Feuer: Dort, wo bereits alles verbrannt ist, kann nicht (noch einmal) ein Feuer brennen. Der einzige Ort, an dem das Gericht bereits vorüber ist, ist das Kreuz von Golgatha, wo der einzige gerechte Mensch, der Herr Jesus Christus, für alle Sünden gelitten hat. Der Tod, der die Folge der Sünde ist (Röm 6, 23), konnte den Herrn Jesus nicht halten, weil Er jede einzelne Sünde, die auf Ihn gelegt worden war, gesühnt hatte, weshalb Seine Auferstehung aus den Toten der Beweis ist, dass das Schuldproblem völlig gelöst worden ist (Röm 4, 25). Deshalb kann Gott jedem Menschen das freie Geschenk der Gnade, die Erlösung von allen Sünden, anbieten. Wer das Geschenk annimmt, begibt sich bildlich an den Ort, an dem das Feuer bereits gewütet hat; das Feuer des Gerichts kann ihm nichts mehr anhaben. 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tod in das Leben übergegangen Joh 5, 24; 36 Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm Joh 3, 36.

Der Herr Jesus ist der einzige Weg, auf dem wir zum Himmlischen Vater kommen und ewiges Leben in Herrlichkeit, Friede und Freude haben können (Joh 14, 6). Man hat behauptet, die verschiedenen Religionen seien wie Ringe, die eine magische Wirkung hätten, wenn der Träger an dieselbe glauben würde; sie seien alle gleich (die berühmte Ringparabel aus G. E. Lessings «Nathan der Weise»). Die Wahrheit ist aber sehr viel ernster: Die verschiedenen Religionen sind wie Brücken, auf denen man versucht, den Abgrund zwischen sich und Gott zu überwinden, die aber nicht tragfähig sind. Nur der wahre, lebendige Glaube an den Herrn Jesus ist eine tragfähige Brücke. Wir können noch so sehr an die Tragkraft der anderen Brücken glauben – wir werden trotzdem abstürzen, wenn wir sie betreten.

Bedenken wir auch: Wenn der Herr Jesus das Schreien einer Frau nicht beantwortet, die Ihn mit einem Ihm wahrhaftig zustehenden Titel anspricht, der aber keine Grundlage für eine Erhörung ihrer Bitte sein kann, wird Er dann nicht umso mehr nicht ein Wort antworten, wenn wir Ihn mit einem Namen ansprechen, den Er gar nicht trägt? Wird Er uns nicht vielmehr von sich weisen, wenn wir in unserem Leben nicht Ihn, sondern andere Götter, die nichts sind, gesucht und angebetet haben?

Weisheit und Gnade

Auf die Bitte der Frau antwortete der Herr also nicht ein Wort. Auf die (hartherzige) Bitte der Jünger, er möge sie doch wegschicken, antwortete er (ihnen): 24 Er aber antwortete und sprach: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt Mt 15, 24. Damit erklärte Er, weshalb Er (als Sohn Davids) die Bitte der Frau nicht erwidern konnte; sie gehörte nun einmal nicht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Einerseits bewies Er dadurch völligen Gehorsam gegenüber dem Willen des Himmlischen Vaters – Er entschied nicht eigenmächtig, sondern handelte treu gemäss dem Ihm gegebenen Auftrag –, andererseits aber auch Gnade gegenüber der Frau: Mit seiner Antwort an die Jünger gab Er ihr den entscheidenden Hinweis, weshalb Er ihre Bitte nicht erwidert hatte. Würde sie, die vom Sohn Davids gar nichts zu erwarten hatte, nun aufgeben?

Gott sei Dank: Nein! 25 Sie aber kam und warf sich vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! Mt 15, 25 Sie akzeptierte, dass sie vom Sohn Davids nicht zu erwarten hatte, brachte aber gleichzeitig zum Ausdruck, dass sie glaubte, dass der Herr Jesus in sich selbst eine Quelle der Hilfe sein könnte – ja, die einzige Quelle. Die Wiederholung ihrer Bitte fiel entsprechend schlicht, aber eindringlich aus: Herr, hilf mir! Diese Bitte war aufrichtig, nicht wie die erste. Die Frau verzichtete auf (unpassende) Ehrentitel und viele Worte und brachte direkt und allein ihre Bitte zum Ausdruck, das, was ihr auf dem Herzen lag. Dabei zeigte sie, dass sie glaubte, dass der Herr – wenn auch nicht als Sohn Davids – helfen könne. Sie akzeptierte, dass sie von Ihm als Sohn Davids nicht zu erwarten hatte, aber erwartete von Ihm selbst als Herrn dennoch Hilfe. Von der ersten Hürde liess sie sich mithin nicht entmutigen.

Diese aufrichtige Bitte wurde vom Herrn beantwortet: 26 Er aber antwortete und sprach: Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen Mt 15, 26. Das war nun wirklich eine harte Antwort, zumal Er sie mit einem verächtlichen Ausdruck (Hund) betitelte. Es war aber die Wahrheit: Der Herr Jesus war in erster Linie zu den Israeliten gesandt. Selbst die Apostel beschränkten sich nach Seinem Tod – gemäss göttlichem Willen – zunächst darauf, einzig den Israeliten das Evangelium zu predigen. Erst als diese die Einladung wiederholt ausschlugen, wandten sich die Apostel an die Menschen aus den übrigen Nationen (vgl. das Gleichnis in Mt 22, 1–14). Hätte sich der Herr Jesus während Seines Dienstes den andern Nationen gewidmet, wäre Er Seinem göttlichen Auftrag untreu gewesen. Er konnte das Brot der Kinder nicht den Hunden – die Frau war kananäischer Abstammung und wohnte zudem im Gebiet von Tyrus und Sidon, das vom Herrn wegen seines Ungehorsams gescholten worden war (vgl. Mt 11, 20–24) – hinwerfen. Das war eine zweite Hürde, denn auch vom Herrn – ein Titel, der weiter ging als Sohn Davids – hatte die Frau also nichts zu erwarten. Würde ihr Glaube auch diese Hürde überwinden?

Ja! 27 Sie aber sprach: Ja, Herr; und doch fressen die Hunde von den Brotkrumen, die von dem Tisch ihrer Herren fallen Mt 15, 27. Sie bekannte, dass der Herr nicht nur für die Israeliten, sondern für alle Menschen reich ist. Wenn sich Sein Dienst auch auf Israel beschränken solle, sei in Ihm doch solch ein Reichtum an Gnade und Segnungen zu finden, dass dieser auch für die übrigen Menschen ausreichen würde. Das war nun eine Ehrerbietung, die von Herzen kam. Nicht ein unbedachter Titel, der nur vordergründigen Respekt bewies, sondern echter Glaube an die Macht und Gnade des Herrn Jesus. Damit verbunden war auch wahre Demut: Die Frau wehrte sich nicht gegen die verächtliche Bezeichnung, sondern bejahte, dass sie tatsächlich in den Augen des Herrn ein Hund war; zudem begehrte sie nicht das Brot der Kinder, das ihr nicht zustand, sondern lediglich Brotkrumen. Das würde ihr schon genügen; auf mehr hätte sie ohnehin keinen Anspruch.

Genau das zeichnet wahren Glauben aus: Er schaut nicht auf die eigene Person, nicht auf Hilfsquellen, die vermeintlich in sich selbst vorhanden sind, sondern auf die Person des Herrn Jesus. Er glaubt, dass der Herr Jesus in Sich selbst mächtig und gnädig ist, und hofft, trotz der eigenen Unzulänglichkeit um des Reichtums des Herrn willen in den Genuss der Gnade kommen zu dürfen. Religiöse Menschen arbeiten an sich selbst und erheben Anspruch auf Lohn für ihre Arbeit; sie wollen sich das ewige Leben verdienen. Gläubige Menschen hingegen hoffen allein auf Gnade von Seiten des Herrn. Sie wissen, dass sie auf nichts Anspruch haben, glauben aber, dass der Herr ihnen Gnade erweist, weil Er gnädig und barmherzig ist. Das ist der Unterschied zwischen Religion und Glaube (vgl. auch Röm 11, 6). Wie schon erwähnt: Unsere selbst gebauten und selbst betretenen Brücken werden uns nicht sicher über den Graben zwischen uns und Gott führen. Die Brücke aber, die der Herr Jesus erbaut hat, die wird uns so gewiss über den Graben führen, wie Er aus den Toten auferstanden ist. Alles, was wir tun müssen, ist daran zu glauben, unseren bislang in Eigenwillen gegangenen Weg zu verlassen, Ihn um Vergebung für alle Fehler, die wir begangen haben, zu bitten und diese Brücke zu betreten. Ewiges Leben erhalten wir als Geschenk. Es kann nicht als Lohn für irgendetwas verliehen werden.

Tatsächlich lobt der Herr Jesus den aufrichtigen Glauben der Frau ausdrücklich: 28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: O Frau, dein Glaube ist gross; dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter war geheilt von jener Stunde an Mt 15, 28. Genauso wie Er Seinen Charakter verleugnet hätte, wenn Er ihr als Sohn Davids geholfen hätte, genauso wie Er Seinem Auftrag untreu geworden wäre, wenn Er ihr das Brot der Kinder hingeworfen hätte, genauso hätte Er Seinen Charakter verleugnet, wenn Er ihr die Brosamen der Gnade vorenthalten hätte. In Ihm ist für den Glauben immer genügend zu finden.

So erhielt die Frau nicht nur, worum sie gebeten hatte. Vielmehr wurde ihr aufrichtiger Glaube, der erst von Heuchelei verdeckt gewesen war, durch die Führung des Herrn Jesus in schöner Weise herausgestellt. Es ist, wie wenn der Herr den Schmutz, der den Diamanten verborgen hatte, weggewischt und so den Diamanten zum Funkeln gebracht hätte. Wenn wir die Geschichte nur überfliegen und uns etwas von unseren Gefühlen und Empfindungen leiten lassen, verwundern wir uns über die offenbare Härte des Herrn Jesus, bewundern aber zugleich den aussergewöhnlichen Glauben der kananäischen Frau. So hat der Herr Jesus, obwohl Er es war, der sämtlichen Ansprüchen in vollkommener Weise gerecht wurde, der absolut weise und gnädig gehandelt hat, sich selbst gleichsam in den Hintergrund gestellt und der kananäischen Frau Ehre zuteil werden lassen für etwas, das letzten Endes massgeblich durch Ihn selbst beeinflusst worden war. Über diese in allen Aspekten absolut vollkommene, herrliche Handlungsweise können wir nur staunen. Ist der Herr nicht aller Anbetung wert?