Das Zeichen Jonas
Bereits in dem Zeitpunkt, in dem der Herr Jesus als Mensch geboren wurde, war den Schriftgelehrten und den Pharisäern bekannt, mit wem sie es zu tun hatten, denn sie beantworteten die Frage des Herodes nach dem Geburtsort Jesu Christi wie folgt: In Bethlehem in Judäa; denn so steht durch den Propheten geschrieben: 6 ‹Und du, Bethlehem, Land Juda, bist keineswegs die Geringste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird ein Führer hervorkommen, der mein Volk Israel weiden wird›
Mt 2, 5. 6. Als der Herr Jesus sich durch Johannes taufen liess, erging eine Stimme vom Himmel. Der Vater in den Himmeln selbst bestätigte, dass es sich beim Herrn Jesus um Seinen geliebten Sohn handelte. Im Rahmen Seines öffentlichen Dienstes erfüllte der Herr Jesus weitere, bei den Schriftgelehrten gut bekannte Prophezeiungen, wie etwa diese: Siehe, euer Gott kommt, Rache kommt, die Vergeltung Gottes! Er selbst kommt und wird euch retten. 5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden; 6 dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und jubeln wird die Zunge des Stummen
Jes 35, 4–6. Als Johannes der Täufer in grosser Bedrängnis plötzlich daran zweifelte, dass der Herr Jesus wirklich der verheissene Christus war, berief sich der Herr in Seiner Antwort an ihn auf diese Stelle (vgl. Mt 11, 5; Lk 7, 22). Der aufmerksame Leser wird in den Evangelien unzählige weitere Beweise dafür finden, dass der Herr Jesus wirklich der verheissene Christus gewesen ist. Den Schriftgelehrten musste dies ebenfalls bewusst gewesen sein. Dennoch forderten sie Ihn heraus, indem sie um ein (weiteres) Zeichen baten.
Die Forderung nach einem (weiteren) Zeichen darf nicht mit der einer echten Unsicherheit entspringenden Bitte um ein Zeichen verwechselt werden, wie wir es beispielsweise in Bezug auf Gideon beschrieben finden (vgl. Ri 6, 34–39). Gideon war von Gott selbst dazu berufen worden, Israel aus der Hand Midians zu erretten. Dieser Ruf hätte genügen sollen, aber Gideon war sich nicht sicher, ob er den Herrn recht gehört hatte. Er bat Ihn deshalb, ihm ein Zeichen zu schenken. Diese Bitte wurde erfüllt. Dann bat er Ihn aber nochmals um ein weiteres Zeichen. Doch auch diese Bitte wurde erfüllt. Später stärkte der Herr die Hand Gideons dann sogar noch ein drittes Mal, indem Er ihn hören liess, dass ein Midianiter den Sieg Gideons bereits in einem Traum vorhergesehen hatte. Gideon benötigte diese wiederholten Bestärkungen und hätte ohne diese seinen Auftrag nicht ausführen können, obwohl der Wille dazu bei ihm vorhanden gewesen ist. In dieser Lage konnte und wollte Gott seiner Schwachheit gedenken und ihm entgegen kommen. Bei den Schriftgelehrten war der Wille zum Gehorsam gegenüber Gott und Seinem Christus aber nicht vorhanden. Sie waren nicht willig und unsicher, sondern unwillig, aber sicher. Ihre angebliche Unsicherheit war nur vorgeschoben, um ihren Unwillen zu verschleiern.
Handeln wir nicht manchmal ebenso? Wir erkennen den Willen Gottes für unser Leben hinsichtlich eines ganz bestimmten Punktes, aber wir wollen nicht gehorchen. Um dem Herrn nicht sagen zu müssen, dass wir nicht wollen, tun wir so, als wären wir unsicher, ob wir Ihn richtig gehört hätten. Wir bitten Ihn um ein Zeichen der Bestätigung, in der Hoffnung, dass Er uns diese Bitte nicht erfüllen würde. Solange nämlich das Zeichen ausbleibt, können wir uns einreden, wir seien noch zu gar nichts verpflichtet. Wie vermessen ein solch hinterhältiges Auftreten gegenüber Gott ist, braucht wohl nicht gesondert erwähnt zu werden. Doch bedenken wir bitte auch, dass wir uns durch ein solches Verhalten selbst Segen vorenthalten. Zwar trifft es zu, dass die Schnitte, die der Weingärtner an den Reben vornimmt, schmerzhaft sind und sogar zum Ausbluten führen könnten, wenn sie zur falschen Zeit vorgenommen würden. Doch der vollkommene Weingärtner schneidet niemals an der falschen Stelle, niemals zur Unzeit und niemals ohne Not. Jeder Schnitt dient dazu, den Segen zu mehren, für mehr Frucht zu sorgen. Wenn wir uns einem Schnitt verweigern, tragen wir selbst dazu bei, dass wir verkümmern. Jede Verweigerung des Gehorsams führt unweigerlich dazu, dass wir den geraden Pfad verlassen, dass wir aus dem Segen fallen. Dies mag uns selbst vielleicht eine Zeit lang gar nicht auffallen, aber der Moment wird kommen, da wir erkennen werden, dass wir letztlich nur uns selbst geschadet haben. Es kann nicht oft genug betont werden, dass nur der Weg Gottes der Weg ist, der uns erfüllt und befriedigt. Jeder andere Weg führt letztlich zum Tod (Spr 14, 12; Spr 16, 25). Auch wenn der Weg Gottes steinig ist, ist er besser als jeder andere Weg. Glückselig ist daher der Mann oder die Frau, der oder die von Herzen erkannt hat: 11 Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend; ich will lieber an der Schwelle stehen im Haus meines Gottes, als wohnen in den Zelten der Gottlosen
Ps 84, 11. Wer dies erkannt und ergriffen hat, hält einen wesentlichen Schlüssel zu einem glücklichen und von den äusseren Umständen unabhängigen Leben in der Hand. Ach, möchten wir doch Tag für Tag weicher, geschmeidiger Ton in den Händen des vollkommenen Töpfers sein, der zu einem auserlesenen Gefäss verarbeitet werden kann!
Nun mag es etwas verwunderlich erscheinen, aber der Herr Jesus hat den am Herzen durch und durch verhärteten, frechen Schriftgelehrten ein Zeichen in Aussicht gestellt. Wir würden meinen, dass ihnen gar kein Zeichen hätte gegeben werden sollen, doch der Herr Jesus gab ihnen ein Zeichen, wenn auch nur ein einziges und wenn auch nicht ohne eine harte Zurechtweisung: Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht begehrt ein Zeichen, und kein Zeichen wird ihm gegeben werden als nur das Zeichen Jonas, des Propheten. 40 Denn so wie Jona drei Tage und drei Nächte in dem Bauch des grossen Fisches war, so wird der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte in dem Herzen der Erde sein
Mt 12, 39. 40. Auch heute noch kennt fast jedes Kind die Geschichte Jonas, des ungehorsamen Propheten, der dem Angesicht Gottes entfliehen wollte und drei Tage und drei Nächte im Bauch eines grossen Fisches zubringen musste. Nur wenigen ist aber bekannt, dass diese Geschichte auch eine vorschattende Bedeutung hat. Die Aussage des Herrn Jesus in Mt 12, 39. 40 bestätigt dies aber deutlich: Wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des grossen Fisches gewesen war, war auch der Herr Jesus drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde. Der Tempel des Heiligen Geistes, der Leib Jesu Christi, war abgebrochen, aber in drei Tagen wieder aufgebaut worden (Joh 2, 19. 20). Die Pharisäer wussten genau, was der Herr Jesus damit gemeint hatte, denn nach Seinem Tod baten sie Pontius Pilatus um eine Grabwache, um zu verhindern, dass Sein Leib aus der Gruft entfernt würde (Mt 27, 62–66).
Ausgerechnet Jona durfte zum Vorbild für den Herrn Jesus werden! Jona war ein Prophet im Nordreich gewesen, den der Herr berufen hatte, Ninive ein schweres Strafgericht anzukündigen. Statt seinen Auftrag auszuführen, war Jona schnurstracks, ohne Zögern, ja sogar ohne Widerrede, nach Japho hinab gegangen und in das erstbeste Schiff gestiegen, um an den Rand der damals bekannten Welt und damit dem Angesicht des Herrn zu entfliehen. Jonas Ungehorsam hatte einen persönlichen Abstieg eingeläutet, der seinen Ausdruck darin gefunden hatte, dass Jona zuerst nach Japho hinab gegangen, sich dann in den Rumpf des Schiffes hinab begeben hatte, dort in einen tiefen Schlaf gesunken war, später hatte ins Meer hinein geworfen werden müssen, um den Sturm zu stillen, und schliesslich im Bauch eines grossen Fisches dem Meeresgrund entgegen gesunken war. Jona hatte schon im Schiff jede Orientierung verloren. Ohne Blick auf die Sterne oder sonstige Navigationshilfen (im Rumpf des Schiffes) schlief er den Schlaf der Verdrängung. Er war orientierungslos und zu nichts nutze gewesen. Ja, schlimmer noch! Seinetwegen hatte Gott einen schweren Sturm aufs Meer geworfen, der das Leben aller Besatzungsmitglieder gefährdet hatte. Seinetwegen hatten diverse Geräte (ohne jeden Erfolg) über Bord geworfen werden müssen. Jona war den Besatzungsmitgliedern also – ganz anders als später der Apostel Paulus – nicht ein Segen, sondern vielmehr ein Fluch gewesen. Viel tiefer kann ein Mann Gottes nicht sinken. Wie konnte der Herr Jesus ein solch ungeeignetes Gefäss zum Vorbild Seiner herrlichen Person nehmen?
Die Antwort auf diese Frage ist ganz einfach: Gottes Weisheit und Kraft sind so grenzenlos, dass Er das schwächste Gefäss verwenden und trotzdem noch alles bei weitem überragen kann. Wenn ein Schütze mit einem der besten Gewehre der Welt einen Wettkampf gewinnt, kann das Ergebnis je teilweise den Fähigkeiten des Schützen und den Fähigkeiten des Gewehrs zugeschrieben werden. Wenn aber ein Schütze mit einem verrosteten alten Karabiner besser schiesst als seine Konkurrenten mit ausgezeichneten Gewehren, ist für jedermann ersichtlich, dass er es mit einem wahren Meister zu tun hat. So teilt auch der Herr Seine Ehre mit niemandem. Er erwählt nicht die ausgezeichneten Gefässe, auf die ein Teil des Ruhmes entfallen würde, sondern die schwachen und törichten Gefässe, damit die Ehre, die Ihm allein gebührt, auch Ihm allein zukommt, 25 denn das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen
1. Kor 1, 25. Deshalb: Das Törichte der Welt hat Gott auserwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und das Schwache der Welt hat Gott auserwählt, damit er das Starke zuschanden mache
1. Kor 1, 27. Sogar Sein Lob nimmt Er aus dem Mund von Unmündigen entgegen: Ja, habt ihr nie gelesen: ‹Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet.›?
Mt 21, 16; vgl. Ps 8, 2 Natürlich ist der Herr Jesus weiser als Salomo und stärker als Joscheb-Baschebet, natürlich dürfen wir in den herausragenden Eigenschaften ausgezeichneter Männer einen Hinweis auf Seine Erhabenheit in jeder Hinsicht erkennen, aber Seine Ehre ist es eben auch, sich in der Schwachheit der Menschen als herrlich zu erweisen.
In Bezug auf Jona kommt aber noch ein weiterer Aspekt hinzu: Jona befand sich in einem kontinuierlichen Abstieg. Er hatte den geraden Weg verlassen und war dadurch orientierungslos und seinen Nächsten zum Fluch geworden. Eine Wendung trat erst dann ein, als er ganz am Boden, ganz unten angelangt war. Dasselbe Prinzip finden wir beispielsweise in den Belehrungen über den Aussatz. Bei jedem Anzeichen von fressendem Aussatz musste die betroffene Person des Lagers Israels verwiesen werden. Sie durfte aber nicht nur zurückkehren, wenn sie wieder geheilt war, sondern auch dann, wenn sie voll und ganz vom Aussatz übersät war: 12 Wenn aber der Aussatz in der Haut ausbricht und der Aussatz die ganze Haut dessen, der das Übel hat, bedeckt, von seinem Kopf bis zu seinen Füssen, wohin auch die Augen des Priesters blicken und der Priester besieht ihn, und siehe, der Aussatz hat sein ganzes Fleisch bedeckt, so soll er den, der das Übel hat, für rein erklären; hat es sich ganz in Weiss verwandelt, so ist er rein
3. Mose 13, 12. 13. Die Belehrung dahinter ist leicht zu verstehen: Solange ein widerspenstiger Mensch noch nicht ganz am Boden ist und noch etwas Gutes in sich hat respektive meint, dies sei der Fall, solange seine Widerspenstigkeit noch nicht völlig gebrochen ist, wird er sich nicht völlig Gott ausliefern und sich so weiterhin der eigenen Heilung und Wiederherstellung verschliessen. Widerspenstigkeit und Ungehorsam sind zwei Übel, die mit aller Entschiedenheit bekämpft werden müssen, denn wie Sünde der Wahrsagerei ist Widerspenstigkeit, und der Eigenwille wie Abgötterei und Götzendienst
1. Sam 15, 23. Widerspenstigkeit, Eigenwille und Ungehorsam müssen vollständig gebrochen werden, weil ansonsten die Wiederherstellung zum Guten auf wackligen Beinen steht und wie ein im Sand gebautes Haus beim ersten Sturm in sich zusammenfallen wird.
Wie treffend erweist sich da doch der Hinweis des Herrn Jesus an die widerspenstigen, eigenwilligen und ungehorsamen Schriftgelehrten, kein Zeichen ausser das Zeichen Jonas würde ihnen gewährt werden! Diese, die nur ein Produkt eines sich von Beginn weg im Abfall und Niedergang begriffen habenden Volkes, waren, meinten noch, sie würden Gott wohlgefällig wandeln. Ihre Verblendung ging so weit, dass sie meinten, sie würden Gott einen Dienst erweisen, wenn sie die Seinen verfolgten. Sie waren noch lange nicht ganz unten angelangt; der Aussatz frass mit einer wahren Zerstörungswut in ihren verfinsterten Seelen. Der Herr Jesus wusste, dass sie zwar verstandesmässig begreifen würden, was Er ihnen mit dem Hinweis auf Jona im Bauch des Fisches sagen wollte, dass sie aber niemals in der Lage sein würden, die Botschaft in ihrer Tiefe zu erfassen. Sie würden selbst nie am Meeresgrund angelangen und dann wiederhergestellt werden können. Selbst ein ungehorsamer Prophet war ihnen weit voraus, weil er sich hatte vollständig zerbrechen und wiederherstellen lassen und daher die Beschaffenheit erlangt hatte, die ein Gefäss haben musste, um vom Geist gefüllt werden zu können, um ein Vorbild auf den Herrn der Herrlichkeit sein zu können. Vielleicht blickten sie auf Jona herab, wie es vielleicht auch einige von uns tun, indem wir denken: Diesen Ungehorsam hätten wir nicht an den Tag gelegt. Doch Jona hatte ihnen unendlich viel voraus. Dies zeigte der Herr Jesus, indem Er Jona gewissermassen vollständig rehabilitierte und ihm die Ehre einräumte, ein Zeichen Christi zu sein. Lieber im Bauch des Fisches und mit Gott verbunden als an Land, aber in der Gottesferne!
Die Geschichte Jonas erweist sich aber noch in weiteren Aspekten als eine perfekte Wahl für ein Zeichen. So denken wir beispielsweise daran, dass der Herr Jesus die denkbar höchste Position im Universum verlassen hat und in die tiefsten Tiefen hinabgestiegen ist. Er ist derjenige, 6 der, da er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, 7 sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und, in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, 8 sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz
Phil 2, 6–8. Bereits vor dem Beginn der Zeit ist Er beim Vater gewesen. Er ist kein geschaffenes Wesen; vielmehr ist alles Geschaffene durch Ihn und für Ihn geschaffen worden (Kol 1, 16. 17). Hoch erhaben hat Er über allem getrohnt. Doch dann ist Er hinabgestiegen, ist ein Mensch geworden, ist zu uns gekommen, uns gleich geworden, um zu dienen, und ist zuletzt im Gehorsam bis ans Kreuz, ans verfluchte Holz, gegangen. Aber mehr noch! Dort hat Er nicht nur drei Stunden durch die Hand der Menschen gelitten, sondern sich anschliessend noch weitere drei Stunden (die drei Stunden der Finsternis) dem Zorn des Vaters ausgeliefert, sich zur Sünde machen lassen (2. Kor 5, 21). So ist Er von der höchsten zur tiefsten Position hinabgestiegen und wie Jona am Ende ganz unten, am Meeresgrund angekommen. 9 Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, 10 damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, 11 und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters
Phil 2, 9–11. Wie hätte der Vater in den Himmeln auch anders reagieren können, als den Herrn Jesus aufgrund Seines Gehorsams wieder in die höchste Position zu erheben und Ihm die Siegesehre zuteil werden lassen? Ja, die Steine hätten schreien müssen, wenn Er Sein Lob nicht anderweitig erhalten hätte (vgl. Lk 19, 40)!
Auch hinsichtlich des Wechsels von der Erde ins Meer weist die Geschichte Jonas in einer schönen Weise auf das hin, was dem Herrn Jesus später widerfahren ist. In der Bibel kommt dem Gegensatz Erde – Meer oft eine symbolische Bedeutung zu. Das Wort, das mit «Erde» übersetzt wird (hebr. adamah, gr. ge), bezeichnet nicht nur den (trockenen) Erdboden, sondern kann auch ein Land (auf diesem Erdboden) und insbesondere das Land, das Land Israel, bezeichnen. So wird dieses Wort beispielsweise in 5. Mose 30, 18. 20 und in 5. Mose 31, 13. 20 verwendet, wo augenscheinlich die Rede vom Land Israel ist. In 5. Mose 32, 8 heisst es, dass der Herr die Grenzen der Völker nach der Zahl der Söhne Israels festgesetzt habe. Das bedeutet, dass Er zuerst die Grenzen Israels festgesetzt und anschliessend, ausgehend von der Ordnung in Israel, auch die übrigen Gebiete geordnet respektive die Grenzen der Nationen festgesetzt hat. So hat Er also zuerst Israel gewissermassen vom Rest getrennt, wie Er bei der Schaffung der Erde zuerst das Trockene vom Nassen getrennt hatte (1. Mose 1, 9. 10). Diese Analogie wird besonders in den poetischen Büchern (Hiob, Psalmen, Sprüche) mehrmals aufgegriffen und zum Anlass genommen, die Macht Gottes, der dem tosenden Meer eine unüberwindbare Grenze gesetzt hat, zu preisen (z. B. Hiob 38, 8–11; Ps 104, 6–9; Spr 8, 29). So ist ja auch die Geschichte Israels die Geschichte eines Volkes, das der Herr aus allen Nationen für sich ausgeschieden (geheiligt) hat – hier Israel, dort der Rest der Nationen; hier das Land, dort das Meer. Wenn das Meer in einem symbolischen Zusammenhang erwähnt wird, wird es oft als tosend und brausend dargestellt, voller Unruhe, in stetiger Bewegung. Damit soll auf die Unordnung und die Rebellion der Nationen hingewiesen werden, wie es in mehreren Stellen ganz deutlich erwähnt wird (z. B. Ps 65, 8; Ps 98, 7; Jes 17, 12; Jes 57, 20). In Israel hätte dagegen nach dem Willen Gottes alles geordnet sein sollen. Deshalb kann der Gegensatz Meer – Land auch als Gegensatz Unordnung – Ordnung verstanden werden. Jedenfalls hat der Herr Jesus bereits in den Vorankündigungen Seines Todes betont, dass Er in die Hände der Nationen überliefert werden würde (z. B. Mk 10, 33; Mk 14, 41). Auch symbolisch ist Er deshalb von der Erde ins Meer gegangen, wobei es wohl kaum ein treffenderes Bild als das tosende Meer und seine Wogen geben könnte, um zu beschreiben, was die Heiden mit dem Herrn Jesus getan haben (vgl. Ps 2).
Wir können die Präzision des Herrn Jesus bei der Wahl des Zeichens, das Er den Schriftgelehrten gegeben hat, nur bewundern. Mit dem Zeichen Jonas hat Er gewissermassen voll ins Schwarze getroffen. Doch vielleicht werden sich einige Leser fragen, ob es dem Zeichen hinsichtlich des Zeitraums an der nötigen Präzision gefehlt hat, denn der Herr Jesus hat ja gesagt (wie es auch im Buch Jona geschrieben steht), Jona sei drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches gewesen, während Er selbst am dritten Tag auferstanden ist. Dieser scheinbare Widerspruch entspringt aber nur unserem Sprachverständnis, das dem Sprachverständnis der damaligen Zuhörer nicht entspricht. Bekanntlich ist der Herr Jesus am Tag vor dem Sabbat, also an einem Freitag, gekreuzigt worden. Er ist noch vor Anbruch des Abends verschieden, was deshalb von Bedeutung ist, weil bei den Juden der neue Tag nicht bei Sonnenaufgang, sondern bereits bei Sonnenuntergang beginnt. Am Freitagabend hat also der Sabbat begonnen. 24 Stunden später hat der erste Tag der Woche, das ist der Sonntag, begonnen. Der Herr Jesus ist also am Freitag (wenn auch nur wenige Stunden) bereits tot gewesen, den ganzen Samstag tot gewesen und auch am Sonntag (vom Samstagabend wohl bis in die frühen Morgenstunden des Sonntags) tot gewesen – an drei Tagen. Nach dem damaligen Sprachverständnis sind das nicht ein ganzer Tag, zwei Nächte und der Freitagabend, sondern drei volle Tage (inkl. Nächte) gewesen. Eine solche Betrachtungsweise mag uns seltsam erscheinen, aber genauso seltsam muss es uns erscheinen, wenn die Franzosen wörtlich übersetzt einen Zeitraum von einer Woche als acht Tage und einen solchen von zwei Wochen als fünfzehn Tage bezeichnen, obwohl doch auch die Franzosen wissen, dass eine Woche nur sieben Tage hat (sie zählen den aktuellen Tag als vollen Tag mit!). Wir mögen uns daran stören, so viel wir wollen, doch das ändert nichts daran, dass die Aussage «acht Tage entsprechen einer Woche» im Französischen völlig korrekt ist. Ebenso korrekt ist es für einen Juden, wenn zwei angebrochene und ein ganzer Tag als «drei Tage und drei Nächte» bezeichnet werden. Auch in zeitlicher Hinsicht erweist sich das Zeichen Jonas folglich als perfekt zutreffend.
Nur in einem Punkt hat sich das, was dem Herrn Jesus widerfahren ist, von dem, was Jona widerfahren war, unterschieden: Jona hatte geerntet, was er gesät hatte. Er hatte den Lohn für seinen Ungehorsam bezahlen müssen, wenn auch die Rettung durch den Fisch bereits wieder als eine grosse Gnade betrachtet werden darf. Der Herr Jesus landete dagegen völlig unverschuldet im Bauch der Erde. Er ist der einzige Mensch gewesen, der nie hätte sterben müssen, weil keine Sünde an Ihm gewesen ist. Doch Er hat dies freiwillig auf sich genommen – aus Liebe zum Vater, aus Liebe zu Dir und aus Liebe zu mir. Ach, Sein Name sei gepriesen bis in alle Ewigkeit! Jonas Aufenthalt im Bauch des Fisches war die Folge seines Ungehorsams gewesen, aber des Herrn Aufenthalt im Bauch der Erde ist die Folge Seines Gehorsams gewesen! Bis hin an diesen schrecklichen Ort ist Er Seinem «Motto» treu gewesen: Siehe, ich komme (in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben), um deinen Willen, o Gott, zu tun
Hebr 10, 7. Wie hat Er mit Seinem Gehorsam bis zum Äussersten den Namen des Vaters in den Himmeln gross gemacht! Ja, die Steine müssten Sein Lob schreiend verkünden, wenn nicht Engels- und Menschenchöre Ihn bis in die Ewigkeit der Ewigkeiten preisen würden! Amen.
Liebe Leser, wenn Sie nun folgend den «Dankespsalm» Jonas aus Jona 2 lesen, dann denken Sie bitte nicht (nur) an den dankbaren Jona, der trotz seines Ungehorsams bewahrt worden war, sondern denken Sie daran, was der Herr Jesus – freiwillig – durchlitten hat, was Er am Kreuz empfunden haben muss und weshalb Ihn dies alles getroffen hat – wegen Seines Gehorsams und wegen Seiner Liebe zum Vater und zu den Menschen, auch zu Ihnen, wer immer Sie sein mögen:
3 Ich rief aus meiner Bedrängnis zu dem Herrn, und er antwortete mir; ich schrie aus dem Schoss des Scheols, du hörtest meine Stimme. 4 Denn du hattest mich in die Tiefe, in das Herz der Meere geworfen, und der Strom umschloss mich; alle deine Wogen und deine Wellen fuhren über mich hin. 5 Und ich sprach: Verstossen bin ich aus deinen Augen; dennoch werde ich wieder hinschauen zu deinem heiligen Tempel. 6 Die Wasser umfingen mich bis an die Seele, die Tiefe umschloss mich, das Meergras schlang sich um mein Haupt. 7 Ich fuhr hinab zu den Gründen der Berge; die Riegel der Erde waren hinter mir auf ewig. Da führtest du mein Leben aus der Grube herauf, Herr, mein Gott. 8 Als meine Seele in mir verschmachtete, erinnerte ich mich an den Herrn, und zu dir kam mein Gebet in deinen heiligen Tempel. 9 Die auf nichtige Götzen achten, verlassen ihre Gnade. 10 Ich aber werde dir opfern mit der Stimme des Lobes; was ich gelobt habe, werde ich bezahlen. Bei dem Herrn ist die Rettung. Jona 2, 3–10
Welch herrliches Licht leuchtet uns aus diesen Zeilen entgegen! Ja, der Herr Jesus hat selbst einmal gesagt: 13 Grössere Liebe hat niemand als diese, dass jemand sein Leben lässt für seine Freunde
Joh 15, 13 – doch Er hat Sein Leben bereits für uns gegeben, als wir noch Seine Feinde gewesen sind. Er hat sich in die Tiefe begeben, hat die Wogen und die Wellen über sich zusammenschlagen lassen, hat sich aus den Augen Gottes verstossen lassen, hat sich vom Meer und vom Meergras bis in die tiefsten Tiefen hinabziehen lassen, hat die Riegel der Erde hinter sich verschliessen lassen, ist in der Grube gewesen, hat seine Seele in sich verschmachten lassen, hat bezahlt, was Er nicht geschuldet, aber gelobt hatte – für mich und für Dich. Wie könnten wir da nicht ausrufen: 2 Preise den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht alle seine Wohltaten!
Ps 103, 2?