Jesus Christus ist der Herr! Phil 2, 11

Fasten

Im Christentum herrschen diverse Meinungen darüber vor, was ein Fasten nach dem Willen des Herrn sein soll. Wohl am häufigsten wird die Auffassung vertreten, mit Fasten könne ein Wunsch mit stärkerem Nachdruck vor dem Herrn vorgebracht werden. Diese Art von Fasten findet man durchaus auch in der Bibel:

Und der Herr schlug das Kind, das die Frau Urijas David geboren hatte, und es wurde todkrank. 16 Und David suchte Gott um des Knaben willen; und David fastete und ging hinein und lag über Nacht auf der Erde. 17 Und die Ältesten seines Hauses machten sich zu ihm auf, um ihn von der Erde aufzurichten; aber er wollte nicht und ass kein Brot mit ihnen. 18 Und es geschah am siebten Tag, da starb das Kind. Und die Knechte Davids fürchteten sich, ihm zu berichten, dass das Kind tot sei; denn sie sprachen: Siehe, als das Kind noch am Leben war, haben wir zu ihm geredet, und er hat nicht auf unsere Stimme gehört; und wie sollen wir nun zu ihm sagen: Das Kind ist tot? Er würde etwas Böses tun. 19 Und David sah, dass seine Knechte miteinander flüsterten. Da merkte David, dass das Kind tot war; und David sprach zu seinen Knechten: Ist das Kind tot? Und sie sprachen: Es ist tot. 20 Da stand David von der Erde auf und wusch und salbte sich und wechselte seine Kleider und ging in das Haus des Herrn und betete an; und er kam in sein Haus und forderte, dass man ihm Speise vorsetze, und er ass. 2. Sam 12, 15–20

Der König David wollte verständlicherweise sein kleines Kind nicht sterben sehen. Es war nur natürlich, dass er den Herrn seinetwillen um Gnade anflehte. Die Sache, um die er den Herrn bitten wollte, war so gross und wichtig in seinen Augen, dass es noch zu wenig gewesen wäre, wenn er «nur» gefleht, geschrien und geweint hätte. Deshalb brachte er mit einem weiteren drastischen Zug zum Ausdruck, wie grundlegend wichtig ihm sein Anliegen war: Er ass nichts mehr, sondern lag bloss noch, ausschliesslich vor dem Herrn. So brachte er zum Ausdruck, dass er mit seinem ganzen Sein für diese Sache einstehen wollte. Er enthielt seiner Seele und seinem Körper das Angenehme und Notwendige vor, um sich voll und ganz auf den Herrn werfen zu können. Sein Fasten kann also als die stärkste Form von Nachdruck betreffend seine Bitte angesehen werden. Mehr, stärker hätte er den Herrn nicht mehr für sein Kind bitten können.

Davon abgesehen: Wie unpassend wäre es gewesen, wenn David in dieser Situation ein Festmahl veranstaltet und seiner Seele Gutes gegönnt hätte? Wie hätte David beispielsweise Wein (der Gott und die Menschen erfreut; vgl. Ri 9, 13) trinken und damit Freude zum Ausdruck bringen können? Drastisch ausgedrückt wurde ihm ja gerade gewissermassen sein Herz aus der Brust gerissen. Es wäre völlig daneben und unverständlich gewesen, wenn er in dieser Situation seiner Seele etwas Gutes gegönnt hätte, wie wenn nichts wäre. Nein, in seiner Lage war es David (ausser er wäre völlig herzlos gewesen) doch unmöglich, sich noch an etwas zu erfreuen oder sich mit Erfreulichem abzulenken. Allerdings ging er noch einen Schritt weiter als sich bloss normal zu verhalten, indem er seiner Seele nicht nur Angenehmes, sondern auch Notwendiges vorenthielt.

So sehr David auch um das Leben seines Knaben gebittet hatte, so bedingungslos akzeptierte er dann aber auch die Antwort Gottes, obwohl ihm seine Bitte verwehrt wurde. Bevor er wieder irgendeine Speise zu sich nahm, ging er in den Tempel des Herrn, um anzubeten. Wie völlig hatte sich dieser Mann Gottes dem Vater in den Himmeln doch ausgeliefert! Wir sehen also, dass es beim Fasten nicht darum geht, einen Wunsch gewissermassen gegen den Willen des Herrrn durchsetzen zu können, und dass der Entschluss, zu fasten, nicht einfach mal eben so, sondern aus einer echten, tiefen Not heraus gefasst wird. Wenn wir uns in unserer Not nicht mehr anders zu helfen wissen, als sogar auf Speise zu verzichten, um unser Flehen noch eindringlicher – so eindringlich wie wir nur können also – vor den Herrn bringen zu können, dann fasten wir nach den Gedanken Gottes. Wenn wir dagegen einen eigenen Wunsch möglichst durchsetzen wollen, wenn wir nicht aus einer echten Not heraus, sondern aus Eigenwillen und Eigennutz fasten oder wenn wir – noch schlimmer! – als eine religiöse, fromme Übung fasten, dann sind wir nicht mit den Gedanken Gottes in Übereinstimmung. Das ist kein Fasten, sondern ein blosser Nahrungsverzicht aus fleischlichen Gründen. Bedenken wir bitte auch, dass es dämonische Lehren sind, die (zur Stärkung des Fleisches) einen Nahrungsverzicht fordern:

1 Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten einige von dem Glauben abfallen werden, indem sie achten auf betrügerische Geister und Lehren von Dämonen, 2 durch die Heuchelei von Lügenrednern, die betreffs des eigenen Gewissens wie mit einem Brenneisen gehärtet sind, 3 verbieten, zu heiraten, und gebieten, sich von Speisen zu enthalten, die Gott geschaffen hat zur Annahme mit Danksagung für die, die glauben und die Wahrheit erkennen. 1. Tim 4, 1–3

Lehren, die von Menschen fordern, gewissermassen aus eigener Kraft auf Dinge zu verzichten, die von Gott gegeben worden sind, sind dämonisch und böse. Sie dienen nämlich der Stärkung des Fleisches (des gegen Gott gerichteten natürlichen Antriebs des Menschen) und führen den Betroffenen so von Gott weg. Wenn der Himmlische Vater uns etwas Gutes darreicht, an dem wir uns freuen sollen, ist es völlig verkehrt, es nicht anzunehmen und zu meinen, man diene damit Gott. Das ist so verkehrt wie ein Fasten, während der Bräutigam noch anwesend ist, oder so verkehrt wie eine Freudenfeier, während das eigene Kind im Sterben liegt.

Neben diesem falschen und dem oben aufgezeigten richtigen Fasten gibt es noch ein «noch richtigeres» Fasten, nämlich das Fasten als Ausdruck der eigenen, echten Betroffenheit, des Mitleids und des Mitfühlens. Interessanterweise ist Urija, der Hethiter, der Mann von Bathseba, ein schönes Beispiel für einen Mann Gottes, der so gefastet hat. Interessant ist dies, weil David ihm die Frau weggenommen und mit ihr das Kind gezeugt hat, das der Herr dann getötet hat. Als nämlich David erkannte, dass Bathseba (von ihm) schwanger war, liess er Urija vom Heer, das sich im Kampf befand, unter einem Vorwand nach Hause holen. Er hoffte, Urija werde die eine Nacht zuhause nutzen, um sich mit seiner Frau zu vergnügen (was völlig legitim gewesen wäre). So hätte er seine Sünde dann vertuschen können; Urija hätte gedacht, das Kind wäre in jener Nacht von ihm gezeugt worden. Wie verhielt sich aber Urija?

9 Und Urija legte sich am Eingang des Königshauses nieder bei allen Knechten seines Herrn und ging nicht in sein Haus hinab. 10 Und man berichtete es David und sprach: Urija ist nicht in sein Haus hinabgegangen. Da sprach David zu Urija: Bist du nicht von der Reise gekommen? Warum bist du nicht in dein Haus hinabgegangen? 11 Und Urija sprach zu David: Die Lade und Israel und Juda weilen in Hütten, und mein Herr Joab und die Knechte meines Herrn lagern auf freiem Feld, und ich sollte in mein Haus gehen, um zu essen und zu trinken und bei meiner Frau zu liegen? So wahr du lebst und deine Seele lebt, wenn ich dies tue! 2. Sam 11, 9–11

«Wenn ich dies tue!» Das waren die Worte Urijas. Wir würden heute in etwa sagen: «Wie könnte ich nur?!» Nicht im Traum kam es Urija in den Sinn, nach Hause zu gehen, sich mit seiner Frau zu vergnügen und dann eine Nacht in seinem bequemen Bett zu verbringen. Weshalb? Weil sich seine Brüder, sein Volk, sein Heer, sein Heerführer im Kampf und in Entbehrungen befanden. Er wollte und konnte nicht seine Seele befriedigen, während seine Brüder und sein Heerführer Mangel litten. Nun, man mag einwenden, dass doch niemand einen Nutzen von Urijas Haltung hatte. Was änderte sich an der Lage Joabs oder des Heeres, wenn sich Urija so oder anders verhielt? Darum ging es aber nicht. Urijas Herz war von echter Liebe, von Mitgefühl und Mitleid für seine Brüder erfüllt, was die einfache, aber völlig ausreichende und umso schönere Erklärung für sein Verhalten war. Wenn ein guter Freund von mir leidet und meine Liebe zu ihm echt ist, wie könnte ich dann zuhause sitzen und meine Seele mit Angenehmem füllen? Wie könnte ich eine Flasche Wein öffnen, während er in seinem Elend sitzt? Was wäre ich denn für ein Freund? Selbst wenn ich nicht bei ihm sein und ihm eine Hilfe sein kann, selbst wenn er nie erfahren wird, ob ich es mir zuhause gemütlich mache oder im Stillen mitleide – wie grundübel wäre es, wenn ich so täte, wie wenn nichts sei! Was für ein Heuchler wäre ich doch, wenn ich ihm sagen würde, sein Leiden sei wirklich schlimm (mit ernster Miene), und dann nach Hause ginge und mich an Wein, Süssem und einem Film oder was weiss ich erfreute! Für den, der echt mit anderen mitleidet, stellt sich gar nicht erst die Frage, ob er seiner Seele Gutes tun will, während andere leiden. Selbstverständlich wird er ohne Frage seiner Seele Gutes vorenthalten, weil er echt mitleidet und mitfühlt!

Dies ist ein echtes Fasten im Sinne des Herrn: Nicht gleichgültig gegenüber seinen Nächsten und insbesondere seinen Geschwistern im Herrn sein, sondern echt mitfühlen, mitleiden und fast schon einen Ekel gegenüber Freuden für die Seele zu empfinden, weil eine solche Freude vor dem Hintergrund der Leiden der Nächsten völlig unpassend wäre. Den Entschluss, in diesem echten Sinne zu fasten, wird man wohl in den wenigsten Fällen wirklich bewusst fassen. Vielmehr wird man sich in einer Situation wiederfinden, wo sich die Frage gar nicht mehr stellt. Natürlich wird man sich später auch nicht gewissermassen auf die Schulter klopfen können, weil man ja gefastet hat, sondern man wird nur denken, dass man halt gemacht hat, was jeder normale Mensch in dieser Situation getan hätte.

Eine Ausnahmesituation kann der Anlass für ein solches echtes Fasten sein. Wenn wir dann dabei sind, können wir uns aber fragen, ob wir nicht jeden Tag einen Grund zum Fasten hätten. Sehen Sie, liebe Leser:

19 Und Jesus sprach zu ihnen: Können etwa die Gefährten des Bräutigams fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? Solange sie den Bräutigam bei sich haben, können sie nicht fasten. 20 Es werden aber Tage kommen, da der Bräutigam von ihnen weggenommen sein wird, und dann, an jenem Tag, werden sie fasten. Mk 2, 19. 20

Was ist ein Bräutigam ohne Braut als nur ein Mann wie jeder andere auch? Der Herr Jesus bezeichnete sich als der Bräutigam, die Versammlung als Seine Braut. Erst ist Er anwesend gewesen, mitten unter seinen Gefährten. Wie hätten sie da fasten sollen? Wer fastet an einer Hochzeit, an einem ausgesprochenen Freudenfest? «Solange können sie nicht fasten.» Wenn aber der Bräutigam der Braut entrissen, von ihr getrennt wird, dann endet das Freudenfest jäh. Solange er nicht bei seiner Braut sein kann, ist er ein verlorener Bräutigam, dessen Herz sich nach seiner Geliebten verzehrt. Trauer verdrängt die Freude. Wenn dies geschieht, «werden sie fasten». Die Gefährten des Bräutigams und die Braut können doch nicht weiterfeiern und sich an diesem und jenem erfreuen, solange der Bräutigam weggenommen ist! Wie sollte das möglich sein? Leider ist es möglich. Fast alle Christen sind sich des Umstandes, dass der Herr von Seiner Braut getrennt worden ist und sich nach ihr verzehrt, gar nicht echt bewusst. Der Zustand könnte kaum schlimmer sein, aber wir verwöhnen unsere Seele mit Gutem, als ob nichts wäre. Könnte man gleichgültiger sein? Liebe Leser, stellen Sie sich bitte ernsthaft die Frage, ob Sie Ihre Seele weiterhin befriedigen wollen, wie wenn alles in Ordnung wäre, während in Tat und Wahrheit der Zustand kaum schlimmer sein könnte! Wenn Ihnen bewusst wird, was es für den Herrn Jesus sein muss, dass Er von Seiner Braut getrennt ist und zusehen muss, wie sie vor die Hunde geht, dann müssen Sie sich wohl nicht mehr fragen, ob sie vielleicht einmal fasten sollten. Dann werden Sie, wenn Sie nicht völlig kaltherzig sind, Ekel vor den Freuden für Ihre Seele empfinden.