Heute
Unterwegs
Das Glaubensleben eines Christen ist mehr Prozess als Zustand. Es gibt zwar Dinge, die unveränderlich und ewig sind, wie die Errettung vor dem Feuersee, die Gotteskindschaft, die Zugehörigkeit zum Volk Gottes und so weiter. So gesehen ist Christsein durchaus ein Zustand, der sich vom Zustand anderer Menschen klar unterscheidet. Auf die Umkehr zu Gott folgt aber nicht augenblicklich die Entfaltung sämtlicher Segnungen bzw. der Eintritt in die Ewigkeit; Bekehrte verschwinden nicht von dieser Erde, sondern bleiben für eine Zeit hier. Es ist wie beispielsweise beim geheilten Besessenen:
18 Und als er in das Schiff stieg, bat ihn der Besessene, dass er bei ihm sein dürfe. 19 Und er liess es ihm nicht zu, sondern spricht zu ihm: Geh hin in dein Haus zu den Deinen und verkünde ihnen, wie viel der Herr an dir getan und wie er sich deiner erbarmt hat. 20 Und er ging hin und fing an, in der Dekapolis bekannt zu machen, wie viel Jesus an ihm getan hatte; und alle verwunderten sich. Mk 5, 18
Der arme Mann, der so sehr in den Fängen des Satans gefangen gewesen war – das sind alle Menschen, nur ist es bei vielen nicht offensichtlich –, hatte die wundersame Heilung und Errettung in Christo erfahren. Wie verständlich ist es doch für jeden, der dasselbe erlebt hat, dass dieser Mann nur noch einen Wunsch hatte: Für immer beim Herrn Jesus, bei seinem Heiland und Erlöser zu sein. Der Satan und die Welt hatten für den Mann nichts als Elend und Leid bereit gehalten, der Herr Jesus gab ihm Erlösung und Errettung. Wie hätte dieser Mann nur wieder in die Welt zurückkehren wollen! Aber: Nicht wenige Christen tun genau das. Sie sind einmal zum Glauben gekommen, dann aber wieder in die Welt zurückgekehrt, wo sie – welch Irrsinn! – Befriedigung und Glück suchen. Jedenfalls: Der Herr Jesus verweigerte dem Mann den Einstieg in das Schiff. Es war weder die Zeit noch die Gelegenheit, (bildlich gesprochen) für immer und vollständig in himmlische Sphären zu entschweben. Erst hatte der Mann noch einen Auftrag zu erfüllen: Er sollte verkünden, wie viel der Herr an ihm getan hatte. So geht es uns allen auch: Wir sind zum Glauben gekommen, aber nicht aus dieser Welt entrückt, sondern wie hier zurückgelassen worden, weil wir einen Auftrag zu erfüllen haben. Wie sollten die Menschen sonst vom Herrn Jesus erfahren?
Das ist aber nicht alles. Wir sind auch hier belassen worden, weil wir einen Weg zurücklegen sollen. Mit der Bekehrung werden wir nicht sofort in den himmlischen, ewigen Zustand versetzt; das soll erst geschehen, wenn wir einen bestimmten Weg zurückgelegt haben. So heisst es etwa: Aber wenn ihr ausharrt, indem ihr Gutes tut und leidet, das ist wohlgefällig bei Gott. 21 Denn hierzu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten, euch ein Beispiel hinterlassend, damit ihr seinen Fussstapfen nachfolgt
1. Petr 2, 20. 21; oder: indem ihr das Ende eures Glaubens, die Errettung der Seelen, davontragt
1. Petr 1, 9. Im Gegensatz zum Geist, der sofort bei der Bekehrung verwandelt wird, und zum Leib, der bei der Auferweckung oder der Entrückung sofort verwandelt wird, erfolgt die Verwandlung der Seele in einem langsameren Prozess. Dieser Prozess kann, wie in obiger Stelle erwähnt, Leiden beinhalten, zeichnet sich aber jedenfalls immer dadurch aus, dass wir dem Herrn Jesus nachfolgen, also den Weg gehen, den Er geht oder gegangen ist, in Seinen Fussstapfen wandeln. Es leuchtet auch ein, dass wir auf den Antritt der Erbschaft, auf die kommende Herrschaft vorbereitet werden müssen. Auch Israel wurde bekanntlich in der Wüste auf die Landnahme Kanaans vorbereitet. Also dient unsere Zeit hier auf Erden unserer Umwandlung bzw. der Umwandlung unserer Seele – hier, unter widrigen Umständen, sollen wir lernen, auf den Herrn zu vertrauen, in der Abhängigkeit von Ihm zu wandeln, uns Seine Charakterzüge anzueignen, richtige Entscheidungen zu treffen, Ihm ähnlicher zu werden, auszuharren und so weiter. Es darf nicht sein, dass sich ein Christ Jahre oder Jahrzehnte nach seiner Bekehrung noch am selben Ort befindet, dem Herrn also nicht ähnlicher geworden ist. Solches wäre eine Schande! Wir verfehlen den Sinn unseres Lebens, unsere Bestimmung, wenn wir an dem Ort stehen bleiben, an dem wir standen, als wir uns bekehrten. Der Platz der Ruhe und des Bleibens ist in der Ewigkeit; solange die Zeit läuft, muss es ein Vorangehen geben. Mit einem Wort: Wir sind nicht Sesshafte, sondern Pilger.
Nach vorne schauen
Jedem Menschen leuchtet ein, dass er nicht einen Weg gehen und dabei ständig rückwärts schauen kann. Man muss vorwärts schauen, um zu erkennen, wo der Weg durch geht, um Gefahren und Hindernisse rechtzeitig zu erkennen, kurz: um auf dem Weg zu bleiben. Ich möchte den Menschen einmal sehen, der rückwärts gewandt einen Berg besteigt oder mit dem Auto eine Strecke zurücklegt und dabei ununterbrochen und ausschliesslich in den Rückspiegel blickt. Nicht wenige Christen machen aber genau das: Auf ihrem Glaubensweg sind sie rückwärts gewandt unterwegs. Sie beschäftigen sich fast ausschliesslich damit, was sie «erreicht» haben (es wurde ihnen alles aus Gnade geschenkt, aber das erkennen sie oft nicht; sie schreiben vieles gerne sich selbst zu). Was vor ihnen liegt, wie es weiter gehen soll, damit beschäftigen sie sich kaum.
Nehmen wir Elia als Beispiel. In seinem Leben gab es mehrere Höhepunkte. Einmal durfte er auf dem Berg Karmel die Überlegenheit Gottes über den Götzen Baal eindrücklich beweisen und gleich selbst 450 Propheten des Baal töten (1. Kön 18). Einen solchen Moment erleben die wenigsten in ihrem Leben. Mehr oder weniger insgeheim sehnen wir uns alle nach einem solchen Augenblick. Einmal wie Elia triumphieren, einmal so eindrücklich zur Verherrlichung Gottes beitragen, einmal ein Wunder tun … ! Aber selbst, wenn es einen solchen Höhepunkt in unserem Leben gegeben hat, was nützt es uns? Ist es so, dass wir den Rest unseres Lebens davon zehren könnten? Können wir dann sagen, wir seien am Ziel angekommen, hätten erreicht, was es zu erreichen gibt? Können wir uns dann hinsetzen und ausruhen? Das ist mitnichten der Fall. Kurz nach dem Triumph am Karmel geriet Elia in eine ernsthafte Krise, an deren Ende er vom Herrn gleich als Prophet abgesetzt wurde. Zuerst auf dem Höhepunkt, im nächsten Augenblick am Abgrund! Auch wenn der Stern Elias am Karmel hell gestrahlt hatte, als Prophet war er Gott kurz darauf nicht mehr nützlich, weshalb er abgesetzt wurde. Der Höhepunkt auf dem Karmel, allgemein die früheren Errungenschaften, nützten nichts für die Zukunft, waren kein Ersatz dafür, einfach weiter auf dem Weg unterwegs zu sein. Natürlich war das alles nicht nichts, und Elia hatte mit all dem sein Ziel schon so weit erreicht, dass er die grosse Ehre erfuhr, zu Gott entrückt zu werden. Aber vielleicht hätte er dem Herrn noch weiter als Prophet dienen, noch mehr erreichen, noch vollkommener werden können, wenn er nicht zurück, sondern vorwärts geschaut hätte.
Ein anderes Beispiel: Noah baute während Jahren an einer Arche. Zuletzt war sie vollendet, fertig gestellt. Als nun der Herr zu Noah sagte, es fehle ihm noch etwas, nämlich genügend Nahrung zu besorgen und in die Arche hineinzugehen, wie dumm wäre Noah gewesen, wenn er zurückgeschaut und gesagt hätte, er habe schon so viel erreicht, dass nun eine Zeit der Ruhe angemessen sei! Alles wäre vergeblich gewesen, wenn Noah nicht weiter voran gegangen und weiter den Anordnungen Gottes gefolgt hätte! Kein einziger Tag in all den Jahren rechtfertigte ein Ausruhen an einem anderen Tag. Alles, was Noah an jedem Tag getan hatte, war zuletzt unbedingt notwendig, damit die Arche rechtzeitig fertig gestellt und er vor der Flut gerettet werden konnte. Er musste am ersten Tag gehorchen und beginnen, er musste an allen weiteren Tagen gehorchen und weiter, immer weiter bauen, er musste am letzten Tag gehorchen und einsteigen. Ein Tag Ungehorsam und Noah wäre ertrunken wie alle anderen auch. Natürlich, das ist etwas übertrieben, aber die Aussage ist wahr und eigentlich leicht nachvollziehbar.
Weshalb leben dann so viele Christen in der Vergangenheit? Weshalb geben sie sich mit dem Erreichten zufrieden? Weshalb blicken sie zurück und nicht voraus? Ich weiss es nicht. Vielleicht sind wir alle faul und träge, vielleicht schmeichelt es uns mehr, auf das Erreichte zu schauen und nicht auf das, was noch ansteht, vielleicht sind wir zu selbstverliebt. Ich weiss es nicht. Die Beispiele mit der Wanderung, dem Auto, Elia und Noah (und noch viele mehr) zeigen aber, dass eine solche Haltung äusserst gefährlich ist.
Aus Glauben leben
Zweimal heisst es in der Bibel: Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben
Hab 2, 4; Röm 1, 17. In erster Linie wird diese Aussage auf die Bekehrung bezogen: Wer zum Glauben an den Herrn kommt, der wird nicht ins Gericht kommen, sondern leben, wie etwa in Joh 5, 24 geschrieben steht. Das stimmt. Aber die Aussage kann auch weiter verstanden werden: An jedem einzelnen Tag wird der Gerechte durch seinen Glauben leben; an jedem Tag, an dem er glaubt, lebt er, ist er gerecht, an jedem anderen Tag nicht. Wir können nicht auf dem Weg stehen bleiben, wir können den Glauben an einem anderen Tag nicht an den heutigen Tag anrechnen, wir können nicht an einem Tag glauben und an einem nicht. Liebe Glaubensgeschwister, es muss immer weiter gehen! Es gibt keinen Stillstand, sondern nur Vorangehen oder Zurückfallen. Der Hirte geht auf dem vorgesehenen Weg voraus, ohne Pause, bis das Ziel erreicht ist, und dieses Ziel wird nicht vor dem Tag erreicht, an dem wir unsere vergängliche Hülle ablegen. Wer stehenbleibt, verliert den Anschluss, ist nicht mehr auf dem richtigen Weg unterwegs. Wer den Mount Everest besteigen will, kann nicht hundert Meter unterhalb des Gipfels stehen bleiben und sagen, er habe den Mount Everest bestiegen. Niemand wird es interessieren, ob er bis auf hundert Meter an den Gipfel herangekommen ist, oder ob er noch einen Kilometer entfernt war. Bestiegen oder nicht, das zählt allein. Wir können in unserem Glaubensleben noch so viel erlebt und erreicht haben, noch so weit gekommen sein, wenn wir nicht bis zum Ende weitergehen, gelangen wir nicht zum vorgesehenen Ziel. Schlimmer noch: Ein einziger Tag im Unglauben kann schlimmstenfalls vierzig Jahre des Wachstums und Gehorsams zunichte machen. Was interessieren frühere Errungenschaften, wenn jemand bildlich gesprochen in der Gosse lebt? Grüsst man einen «abgestürzten» ehemaligen Geschäftsleiter noch so, wie er früher, auf dem Höhepunkt seiner Macht begrüsst wurde, oder spuckt man ihn an und lässt ihn links liegen?
Liebe Geschwister im Herrn, ich weiss nicht, wie ich es noch anders, noch eindringlicher formulieren könnte, aber unser Glauben von gestern wird uns nicht erretten. Heute, heute entscheidet sich, ob wir leben! Hören wir doch bitte auf die Stimme des Heiligen Geistes:
7 Deshalb, wie der Heilige Geist spricht: «Heute, wenn ihr seine Stimme hört, 8 verhärtet eure Herzen nicht, wie in der Erbitterung, an dem Tag der Versuchung in der Wüste, 9 wo eure Väter mich versuchten, indem sie mich prüften, und sie sahen doch meine Werke 10 vierzig Jahre. Deshalb zürnte ich diesem Geschlecht und sprach: Allezeit gehen sie irre mit dem Herzen; aber sie haben meine Wege nicht erkannt. 11 So schwor ich in meinem Zorn: Wenn sie in meine Ruhe eingehen werden!» Hebr 3, 7–11