Oberflächlichkeit
Josia, einer der Könige Judas, kehrte von Herzen zum Herrn um und tat sein Bestes, auch das Volk zur Umkehr zu bewegen. Äusserlich gelang es ihm, das Volk mit sich zu ziehen, aber der Schein trügte. Der Prophet Jeremia begann bereits unter der Herrschaft Josias, das Volk zur richtigen Umkehr aufzurufen. Kennen wir nicht ähnliches von uns selbst? Da zeigt uns der Herr etwas auf, das nicht in Ordnung ist, und wir wollen entweder gleich überhaupt nichts davon wissen oder nehmen uns missmutig vor, unser Verhalten zu ändern, was dann aber nur für einige Tage oder Wochen funktioniert. Jüngere Leser werden dies vielleicht nicht recht glauben wollen, aber die weit überwiegende Mehrheit der Christen verhält sich so. Wer es nicht glauben will, besuche einmal verschiedene Zusammenkünfte von Christen und ermahne die Geschwister dort, ein mehr oder weniger offensichtliches Fehlverhalten zu korrigieren. Fordern Sie einmal Geschwister auf, jedes Mal, wenn sie zusammenkommen, das Mahl des Herrn zu feiern, wie es geschrieben steht, oder weisen Sie einmal Geschwister darauf hin, dass es nicht im Sinne des Herrn ist, wenn nur einer jeweils im Gottesdienst ein Wort an die andern richtet. Es gäbe noch unzählige weitere Beispiele, aber in den allermeisten Fällen würde Ihnen keine allzu grosse Bereitschaft, das bisherige Verhalten zu ändern, entgegen gebracht. Viele Christen, auch in ihrem Verhalten sehr edle Geschwister, die ohne zu zögern vieles hingeben würden, tun sich ausserordentlich schwer damit, dem Herrn nicht nur oberflächlich, sondern in jedem einzelnen Punkt – ohne Wenn und Aber – nachzufolgen und treu zu sein. Vielleicht sind Sie selbst auch schon müde in der Nachfolge geworden und haben sich gedacht: «Ist es denn nie genug?!» Wir müssen uns keine Illusionen darüber machen: Das Joch des Herrn ist sanft und Seine Last ist leicht, aber Er fordert alles von uns, und zwar zuallererst unser ganzes Herz und völlige Hingabe. Eine oberflächliche Beachtung einiger Grundregeln wird dem, was der Herr will, nicht gerecht. Das funktioniert nicht – und doch leben die meisten Christen so oberflächlich.
Was denken Sie, hat die Predigt Jeremias gebracht? Er predigte nicht jahrelang, sondern jahrzehntelang immer und immer wieder dasselbe: «Kehrt um zu dem Herrn, bevor es zu spät ist!» An einer Stelle heisst es:
7 Einmal rede ich über ein Volk und über ein Königreich, es auszureissen und abzubrechen und zu zerstören; 8 kehrt aber jenes Volk, über das ich geredet habe, von seiner Bosheit um, so lasse ich mich des Übels gereuen, das ich ihm zu tun gedachte. 9 Und ein anderes Mal rede ich über ein Volk und über ein Königreich, es zu bauen und zu pflanzen; 10 tut es aber, was böse ist in meinen Augen, so dass es auf meine Stimme nicht hört, so lasse ich mich des Guten gereuen, das ich ihm zu erweisen gesagt hatte. 11 Und nun rede zu den Männern von Juda und zu den Bewohnern von Jerusalem und sage: So spricht der Herr: Siehe, ich bereite ein Unglück gegen euch und ersinne gegen euch einen Plan; kehrt doch um, jeder von seinem bösen Weg, und macht eure Wege und eure Handlungen gut. Jer 18, 7–11
Hätte die Botschaft klarer sein können? Wer immer sie hörte, musste doch wissen: So, wie es jetzt ist, ist es nicht gut; wir ziehen das Gericht Gottes auf uns. Wenn wir uns aber wenden und zu Ihm zurückkehren, wird Er Seinen Plan ändern und uns Gutes tun. Deutlicher hätte der Herr das Volk nicht aufrufen können, zu Ihm zurückzukehren. Diese Botschaft predigte Jeremia, wie erwähnt, jahrzehntelang. Hat dies etwas gebracht? Nein. Als bereits das feindliche Heer gegen Jerusalem anrückte, liess der König Zedekia zu Jeremia schicken: 2 Befrage doch den Herrn für uns, denn Nebukadrezar, der König von Babel, kämpft gegen uns; vielleicht wird der Herr mit uns handeln nach allen seinen Wundern, dass er von uns abziehe
Jer 21, 2. Liebe Leser, vielleicht hätten Sie, wenn Sie diesen Vers einfach so gelesen hätten, sich gedacht, dass es richtig war, nach Jeremia schicken zu lassen. Wenn Sie jetzt aber wissen, dass Jeremia davor während Jahrzehnten gepredigt hatte, dass dieser Tag kommen und nicht abgewendet werden würde, wenn nicht das Volk zum Herrn umkehrte, denken Sie, dass es besonders fromm von Zedekia gewesen ist, nach Jeremia schicken zu lassen? Nein, im Gegenteil: Das zeigt doch deutlich, dass die jahrzehntelange, klare Predigt Jeremias nichts bewirkt hatte. An Jeremias Stelle hätte ich zurückfragen lassen: «Jetzt lässt du nach mir rufen? Jahrzehntelang habe ich bereits gepredigt, was geschehen wird. Damals hättest du halt hören sollen. Jetzt musst du mich nicht mehr befragen lassen!» Ach, der Herr ist tausendmal geduldiger als wir:
4 So spricht der Herr, der Gott Israels: Siehe, ich will die Kriegswaffen umwenden, die in eurer Hand sind, mit denen ihr ausserhalb der Mauer gegen den König von Babel und gegen die Chaldäer kämpft, die euch belagern, und sie in diese Stadt hinein versammeln. 5 Und ich selbst werde gegen euch kämpfen mit ausgestreckter Hand und mit starkem Arm und mit Zorn und mit Grimm und mit großer Wut. 6 Und ich werde die Bewohner dieser Stadt schlagen, sowohl Menschen als Vieh; an einer großen Pest sollen sie sterben. 7 Und danach, spricht der Herr, werde ich Zedekia, den König von Juda, und seine Knechte und das Volk, und zwar die, die in dieser Stadt von der Pest, vom Schwert und vom Hunger übrig geblieben sind, in die Hand Nebukadrezars, des Königs von Babel, geben, und in die Hand ihrer Feinde und in die Hand derer, die nach ihrem Leben trachten; und er wird sie schlagen mit der Schärfe des Schwertes, er wird sie nicht verschonen und kein Mitleid haben und sich nicht erbarmen. 8 Und zu diesem Volk sollst du sagen: So spricht der Herr: Siehe, ich lege euch den Weg des Lebens vor und den Weg des Todes. 9 Wer in dieser Stadt bleibt, wird sterben durch Schwert und durch Hunger und durch Pest; wer aber hinausgeht und zu den Chaldäern überläuft, die euch belagern, wird leben, und seine Seele wird ihm zur Beute sein. 10 Denn ich habe mein Angesicht gegen diese Stadt gerichtet zum Bösen und nicht zum Guten, spricht der Herr; sie wird in die Hand des Königs von Babel gegeben werden, und er wird sie mit Feuer verbrennen. Jer 21, 4–10
Noch einmal liess der Herr Jeremia dem widerspenstigen, tauben Volk eine ausführliche Antwort mit sämtlichen Optionen und deren Folgen geben. Wer von uns hätte auch nur annähernd diese Geduld aufgebracht? Anderen kreiden wir vielleicht schnell einmal Oberflächlichkeit an, aber sind wir selbst nicht auch oberflächlich? Wer von uns kann sagen, die Geduld zu haben, die der Herr mit denen hat, die falsch wandeln? Und wer von uns kann sagen, daneben auch so gerecht zu sein, wie es der Herr ist? Er hat nämlich, obwohl Er dem Volk bis quasi zur letzten Sekunde die Gelegenheit gegeben hatte, umzukehren, nicht ein Wort zu Boden fallen gelassen. Alles, was Er angedroht hatte, ist eingetroffen, das Gericht war unerbittlich und grausam – und gerecht. Schnell einmal weichen wir zur einen oder anderen Seite ab: Uns reisst die Geduld oder wir werden auf eine falsche Weise grosszügig und vermitteln den Eindruck, so schlimm sei ein bestimmtes Fehlverhalten gar nicht. Dem Herrn nur schon in diesen beiden Punkten ähnlich zu werden, ist eine Lebensaufgabe. Der Herr fordert von uns, so zu werden, also Seine Geduld und Seine Gerechtigkeit zu widerspiegeln. Wer dem Herrn halbherzig oder oberflächlich nachwandelt, der kann gleich jetzt schon davon absehen, dieses Ziel je zu erreichen. Wir können nur so werden, wenn wir dem Herrn alles von uns hingeben und wie weichster Ton in Seinen Händen sind, den Er nach Belieben formen kann. Denken Sie bloss nicht, das wäre ein Klacks! Wissen Sie, was Jeremia einmal zum Herrn gesagt hat? 9 Und spreche ich: ‹Ich will ihn nicht mehr erwähnen und nicht in seinem Namen reden›, so ist es in meinem Herzen wie brennendes Feuer, eingeschlossen in meinen Gebeinen; und ich werde müde, es auszuhalten, und vermag es nicht
Jer 20, 9. Jeremia hätte am liebsten geschwiegen, aber es lag ein Zwang auf ihm, zu reden. Er musste reden, ohne Zwang hätte er geschwiegen. Die Geduld, die wir vielleicht an ihm bewundern, musste ihm vom Herrn aufgezwungen werden. Denken wir also bloss nicht, das sei ein Klacks! Jeremia hat auch folgendes nicht einfach so dahin gesagt:
14 Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, da meine Mutter mich gebar, sei nicht gesegnet! 15 Verflucht sei der Mann, der meinem Vater die frohe Botschaft brachte und sprach: ‹Ein männliches Kind ist dir geboren›, und der ihn hoch erfreute! 16 Und jener Mann werde den Städten gleich, die der Herr umgekehrt hat, ohne es sich gereuen zu lassen; und er höre ein Geschrei am Morgen und Kriegsgeschrei zur Mittagszeit: 17 Weil er mich nicht tötete im Mutterleib, so dass meine Mutter mir zu meinem Grab geworden und ihr Leib ewig schwanger geblieben wäre! 18 Warum bin ich doch aus dem Mutterleib hervorgekommen, um Mühsal und Kummer zu sehen und dass meine Tage in Schande vergingen? Jer 20, 14–18
Viele von uns können sich wohl keine rechte Vorstellung davon machen, wie verzweifelt ein Diener Gottes sein muss, bis er so spricht. Die Last muss Jeremia sehr, sehr schwer erschienen sein – und er musste sie dann jahrzehntelang tragen. Kein Mensch ist hierzu in der Lage, keiner. Nur solche, die beständig die Nähe Gottes suchen und sich von Ihm durchtragen lassen, können ihren Lauf so vollenden, wie Jeremia ihn vollendet hat, nämlich die Geduld und die Gerechtigkeit Gottes ein Leben lang treu wiederspiegelnd. Das Volk Gottes verhält sich heute ganz gewiss nicht anders als zur Zeit Jeremias. Ich habe es oben schon erwähnt. Suchen Sie nach einem Bruder oder einer Schwester im Herrn, der oder die darauf sinnt, allen Forderungen Gottes, die an ihn oder sie herangetragen werden, umgehend und vollständig nachzukommen. Ich glaube nicht, dass Sie jemanden finden. Viele Christen geben viel und sind wahrhaft edel in ihrer Haltung. Aber es ist etwas ganz anderes, sämtlichen Forderungen Gottes gerecht zu werden. Wer sich nicht völlig auf- und dem Herrn hingibt, ist zum Scheitern verurteilt. Oberflächlichkeit in irgendeiner Form ist einem treuen Wandel ganz und gar hinderlich. Wer dem Herrn etwas vorenthält oder nicht alles geben will, kann nie und nimmer ein Jeremia werden – nicht einmal ansatzweise. Wer dagegen ein treuer und fleissiger Diener des Herrn sein will, muss sich darauf einstellen, sogar im Volk Gottes, und zwar bei den meisten Geschwistern im Herrn, auf Widerstand zu stossen. Damit aber nicht genug, denn diesem Widerstand muss er in der Geduld, in der Liebe und in der Gerechtigkeit Gottes begegnen. Die Last des Herrn ist zwar leicht, aber als störrische Lasttiere tun sich alle von uns sehr schwer damit, sie auch wirklich zu tragen. Ich hoffe und bete, dass ich und Sie, liebe Leser, zu denen gehören, die die Last an ihren Bestimmungsort tragen, ohne etwas davon abzuwerfen.