Umstände oder Regeln?
Als Christen sind wir zwar unter anderem auch Knechte Gottes und verpflichtet, zu tun, was Er uns aufträgt. Dennoch können wir unser Leben auf verschiedene Arten leben. Es ist möglich, dass ein Christ ungehorsam oder faul ist. Nicht jeder Christ erfüllt automatisch die Ansprüche Gottes vollumfänglich. Das hat nichts mit der Errettung zu tun. Wer an den Herrn Jesus Christus glaubt, ist unabhängig von seinem Verhalten errettet, weil der Grund der Errettung allein das Werk Christi ist und weil mit der Errettung eine Neugeburt verbunden ist, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Wer also glaubt, gehört zum Volk Gottes, und diese Tatsache ist unumstösslich. Das macht es überhaupt erst möglich, Gottes Ansprüchen gerecht werden zu können. Wer nicht glaubt, ist zum Vorneherein nicht in der Lage, Gottes Ansprüchen gerecht zu werden; er muss es gar nicht erst versuchen. Das bedeutet aber eben nicht umgekehrt auch, dass jeder Christ automatisch sämtliche Ansprüche Gottes erfüllt. Unter anderem wird in 1. Kor 3, 11–15 deutlich dargelegt, dass es Christen gibt, die auf eine Belohnung hinarbeiten, und solche, die einen Verlust erleiden und bloss wie durchs Feuer hindurch gerettet werden. Jeder muss für sich selbst entscheiden, inwieweit er den Weg des Herrn gehen will.
Eine wesentliche Komponente dieser grundsätzlichen Entscheidung stellt der Wille dar, sich nicht nur von Umständen leiten zu lassen, sondern sein Leben gewissermassen selbst in die Hand zu nehmen und sich an den Regeln Gottes zu orientieren. Dies ist nicht eine Entscheidung, die in einem Augenblick gefällt werden kann, sondern mehr ein Teil des Prozesses der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Mass des vollen Wuchses der Fülle des Christus
Eph 4, 13, also ein Teil des geistlichen Erwachsenwerdens. Es ist (wie so oft) wie im natürlichen Leben: Kleinkinder werden ausschliesslich durch Umstände gelenkt. Sie befinden sich dort, wo sie halt sind, müssen das essen und trinken, was ihnen dargereicht wird, und mit dem spielen, was man ihnen vor das Gesicht hält oder in die Hand gibt. Kleinkinder fällen kaum eigene, bewusste Entscheidungen. Auch etwas ältere Kinder fällen bloss in einem sehr beschränkten Rahmen bewusste Entscheidungen. Auch sie sind in hohem Masse von ihrer Umwelt abhängig und in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt. Ältere Kinder und schliesslich Erwachsene müssen aber lernen, eigene, bewusste Entscheidungen zu fällen, und zwar teilweise unabhängig davon, wie die Umstände gerade sind. Ein Beispiel: Ein Kleinkind kann nicht aufstehen, wenn es erwacht, aber immerhin weinen oder rufen. Dies wird es tun, wenn es Hunger hat oder sonst etwas benötigt. Ein etwas älteres Kind kann aufstehen, bleibt aber unter Umständen solange liegen, bis es lieber aufsteht und etwas anderes macht. Kinder, die zur Schule müssen, können sich teilweise kaum aufraffen und müssen fast gewaltsam dazu angehalten werden, endlich aufzustehen. Von Erwachsenen wird dagegen verlangt, dass sie im Zeitpunkt des Erwachens eine eigenständige bewusste Entscheidung treffen: Falls es bereits an der Zeit ist, sollen sie aufstehen, um ihr Tageswerk zeitgerecht verrichten zu können, auch wenn sie noch so gerne etwas weiter schlummern würden.
Als Christen müssen wir lernen, uns von unseren Umständen zu lösen. Für einen Mensch, der gerade erst zum Glauben gekommen ist, mag es in Ordnung sein, wenn er sich einfach über einen zusätzlichen freien Tag freut, lange ausschläft und dann einen gemütlichen Tag zuhause verbringt und dem Herrn am Abend für den schönen Tag dankt. Ein Christ, der schon länger im Glauben steht und vom Herrn mit verschiedenen Diensten betraut worden ist, kann sich so etwas dagegen im Normalfall nicht leisten. Er hat am frühen Morgen die Entscheidung zu treffen, nicht auf der faulen Haut zu liegen, sondern den Tag für den Dienst im Herrn zu nutzen. Von einem Christ, der schon einige Zeit glaubt, wird erwartet, dass er die Umstände nicht als gegeben ansieht, sondern eigenständige Entscheidungen trifft. Ein solcher soll danach trachten, nach den Regeln Gottes zu leben, und zwar unabhängig davon, wie die Umstände gerade sein mögen. Ein Beispiel: Die Leviten lebten von den Opfergaben des Volkes. Zu einer Zeit, als das Volk nicht mehr opferte, drohte den Leviten (vermeintlich) der Hungertod. Die meisten verliessen ihren Posten und gingen einer anderen Arbeit nach, um etwas zu essen zu haben. Nur die Söhne Zadoks harrten aus. Nun mag man versucht sein zu meinen, die Leviten hätten ja gar keine andere Wahl gehabt, andernfalls sie verhungert wären. Die Umstände seien so übel gewesen, dass die Einhaltung der Regeln Gottes nicht mehr möglich gewesen sei. Was sagt aber der Herr? Er verurteilt die Nachlässigkeit der Leviten. Ohne auf die Umstände einzugehen, erklärt Er Hesekiel, dass die Leviten nicht mehr befugt seien, den Priesterdienst zu verrichten, sondern bloss noch Wache stehen dürften (Hes 44, 10–14). Ausdrücklich erklärt Er weiter: 15 Aber die Priester, die Leviten, die Söhne Zadoks, die den Dienst meines Heiligtums versehen haben, als die Kinder Israel von mir abirrten, sie sollen mir nahen, um mir zu dienen, und sollen vor mir stehen, um mir das Fett und das Blut darzubringen, spricht der Herr, Herr. 16 Sie sollen in mein Heiligtum kommen, und sie sollen zu meinem Tisch herzutreten, um mir zu dienen, und sollen meinen Dienst versehen
Hes 44, 15. 16. Den Söhnen Zadoks soll auch ein besseres Land zuteil werden als den übrigen Leviten (Hes 48, 9–13). Selbstverständlich hätte der Herr dafür gesorgt, dass die Leviten nicht verhungert wären! Die widrigen Umstände lässt Er deshalb nicht als Ausrede dafür gelten, dass sie ihren Posten verlassen haben.
Von einem erwachsenen Christ wird also erwartet, dass er sich nicht durch Umstände davon abbringen lässt, nach den Regeln Gottes zu leben. Er soll nicht gewissermassen durch seine Instinkte geleitet werden wie ein Tier, sondern bewusste Entscheidungen in seinem Leben fällen, sein Leben in die Hand nehmen. Entsprechende Treue wird der Herr stets belohnen. So heisst es etwa:
8 Das Gesetz des Herrn ist vollkommen und erquickt die Seele; das Zeugnis des Herrn ist zuverlässig und macht weise den Einfältigen. 9 Die Vorschriften des Herrn sind richtig und erfreuen das Herz; das Gebot des Herrn ist lauter und erleuchtet die Augen. 10 Die Furcht des Herrn ist rein und besteht ewig. Die Rechte des Herrn sind Wahrheit, sie sind gerecht allesamt; 11 sie, die kostbarer sind als Gold und viel gediegenes Gold, und süsser als Honig und Honigseim. 12 Auch wird dein Knecht durch sie belehrt; im Halten derselben ist grosser Lohn. Ps 19, 8–12
Hier sehen wir, wie kostbar und gut für uns die Vorschriften und Regeln des Herrn sind. In Vers 12 heisst es, dass wir durch sie belehrt oder gewarnt werden und dass im Halten der Regeln grosser Lohn ist. In den ersten Versen des 119. Psalmes (und in vielen weiteren Versen mehr in diesem Psalm) heisst es jedes Mal, dass wir nach den Regeln Gottes leben sollen und nicht – wie die Tiere oder wie Kleinkinder – nach den Umständen. Die entscheidende Frage an uns lautet also: Wollen wir uns von den Wogen des Lebens hin und her werfen lassen oder wollen wir die Zügel unseres Lebens in die Hand nehmen und wie Erwachsene durchs Leben gehen?
Ein letztes Beispiel sei hier noch angeführt, und zwar das des Nasirs oder Nasiräers. Jedem Israeliten stand es frei, ein besonderes Gelübde abzulegen, eben das des Nasirs. Dieses Gelübde beinhaltete, sich von allen Erzeugnissen des Weinstocks zu enthalten, seine Haare nicht mehr zu scheren und sich nicht an einer Leiche zu verunreinigen, und zwar auch nicht an der Leiche eines der nächsten Verwandten (vgl. 4. Mose 6, 1–12). Es bestand keine Pflicht, dieses Gelübde abzulegen; es war ein freiwilliges Gelübde. Wer es aber ablegte, war selbstverständlich verpflichtet, die Regeln peinlich genau einzuhalten. Besonders interessant ist im Zusammenhang mit diesem Artikel aber folgende Passage:
9 Und wenn jemand unversehens, plötzlich, bei ihm stirbt und er das Haupt seiner Weihe verunreinigt, so soll er sein Haupt an dem Tag seiner Reinigung scheren; am siebten Tag soll er es scheren. 10 Und am achten Tag soll er zwei Turteltauben oder zwei junge Tauben zum Priester bringen an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft. 11 Und der Priester soll eine zum Sündopfer und eine zum Brandopfer opfern und Sühnung für ihn tun, weil er sich an der Leiche versündigt hat; und er soll sein Haupt an diesem Tag heiligen. 12 Und er soll die Tage seiner Absonderung nochmals für den Herrn absondern und ein einjähriges Lamm zum Schuldopfer bringen; die vorigen Tage aber sind verfallen, denn seine Weihe ist verunreinigt worden. 4. Mose 6, 9–12
Wenn ein Nasir ohne eigenes Verschulden von einer Leiche berührt wurde, sah der Herr nicht etwa darüber hinweg. Nein, der Nasir musste sein Haupt scheren, ein Sündopfer darbringen, ein Schuldopfer darbringen und wieder von vorne beginnen. Stellen Sie sich vor, ein Nasir hätte 729 seiner 730 Tage erfüllt gehabt und ein Mann neben ihm hätte unversehens einen Herzinfarkt erlitten und wäre zu ihm hinüber gekippt – der Nasir hätte die erwähnten Opfer darbringen und wieder von vorne beginnen müssen. Das mag vielleicht ungerecht klingen, aber man muss sich vor Augen führen, dass ein Nasir ein Israelit war, der sich freiwillig völlig dem Herrn hingeben wollte. Wer immer sich dem Herrn völlig hingeben will, ist auch verpflichtet, dies zu tun, ohne wenn und aber. Keine Ausrede vermag dann ein Abweichen zu rechtfertigen.
Ein Christ muss sich nicht dem Herrn voll und ganz hingeben. Auch ein Israelit musste sich nicht voll und ganz dem Herrn hingeben. Frisch bekehrte Christen sind vielleicht auch gar nicht in der Lage, sich dem Herrn im Sinne eines Nasirs hinzugeben. Wer dies aber auf Dauer nicht tut oder nicht tun will, bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück. Er wird das, was er vom Herrn empfangen hat, nicht voll ausschöpfen und sich dereinst anhören müssen, dass mehr möglich gewesen wäre. Schlimmstenfalls wird ein solcher Verlust erleiden und bloss wie durchs Feuer hindurch gerettet werden, während derjenige, der alles für den Herrn gegeben hat, reich beschenkt vom Richterstuhl Christi weggehen wird. Gott ist ein Belohner und das Halten Seiner Gebote bringt grossen Lohn. So hat Er es verheissen – und Er steht zu Seinem Wort.
Liebe Leser! Nehmen Sie bitte Ihr Leben (Stück für Stück) in die Hand und leben Sie nach den Regeln Gottes, wie auch immer die Umstände sein mögen! Bleiben Sie kein Kleinkind im Glauben, sondern werden Sie ein Mann oder eine Frau im Herrn!