Jesus Christus ist der Herr! Phil 2, 11

Der Feigenbaum

Israel als Feigenbaum

12 Und am folgenden Tag, als sie von Bethanien weggegangen waren, hungerte ihn. 13 Und als er von weitem einen Feigenbaum sah, der Blätter hatte, ging er hin, ob er vielleicht etwas an ihm fände; und als er zu ihm kam, fand er nichts als Blätter, denn es war nicht die Zeit der Feigen. 14 Und er hob an und sprach zu ihm: Nie mehr esse jemand Frucht von dir in Ewigkeit! Und seine Jünger hörten es. 20 Und als sie frühmorgens vorbeigingen, sahen sie den Feigenbaum verdorrt von den Wurzeln an. Mk 11, 12–14. 20

Das Handeln des Herrn mag uns im ersten Moment unverständlich erscheinen, doch zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass es von tiefer Bedeutung und reicher Belehrung ist. Einer der Schlüssel zum Verständnis dieser Szene ist die Tatsache, dass im Alten Testament der Feigenbaum mehrmals als ein Bild für Israel bezeichnet wird (Jer 8, 13; Jer 24, 1–8; Hos 9, 10; Joel 1, 7). So spricht das Handeln des Herrn mit dem Feigenbaum auch von der Beziehung zwischen Ihm und Israel, in einem weiteren Sinn aber auch von der Beziehung zwischen Ihm und der Menschheit im Allgemeinen.

Blätter, aber keine Früchte

Was zeichnete den Feigenbaum nun aus? In erster Linie ist bedeutsam, dass ein Feigenbaum Frucht bringen soll. Von einem Feigenbaum erwartet man, dass er zur Zeit der Feigen Früchte trägt, die man pflücken und essen kann. Dieser spezielle Feigenbaum jedoch trug keine Früchte. Zwar war nicht die Zeit der Feigen, doch bedeutete das nicht, dass das völlige Fehlen von Früchten zu erwarten war – im Gegenteil! Wäre die Zeit der Feigen gewesen, hätte es sein können, dass der Feigenbaum deshalb keine Früchte mehr trug, weil sie bereits gepflückt worden waren. Da es aber noch nicht an der Zeit war, hätten Blüten, Knospen oder unreife Früchte am Baum gefunden werden müssen, aus denen sich essbare Früchte hätten entwickeln können. Man hätte die Vorläufer der reifen Früchte am Baum finden müssen. Der Feigenbaum war aber, obwohl er keinerlei Frucht trug, nicht abgestorben, denn er hatte Blätter, sodass der Herr, als Er ihn von weitem sah, dachte, er würde Frucht tragen, und deshalb hinging, um nach Frucht zu suchen. Zusammenfassend stellen wir also fest, dass der Feigenbaum ansehnlich war, bei näherem Hinsehen aber nicht hielt, was sein Aussehen versprach, dass er seinen Zweck nicht erfüllte und – wider die natürliche Ordnung – keine Frucht trug. Bedenken wir, dass es der von Gott vorgegebenen Ordnung entsprach, dass alle Pflanzen entsprechende Frucht hervorbringen: 11 Und Gott sprach: Die Erde lasse Gras hervorsprossen, Kraut, das Samen hervorbringe, Fruchtbäume, die Frucht tragen nach ihrer Art, in der ihr Same sei, auf der Erde! Und es wurde so 1. Mose 1, 11.

Da der Herr den Israel, den Feigenbaum, auf wunderbare Art aus Ägypten, aus der Sklaverei, in ein gutes Land geführt und dorthin gepflanzt hatte, durfte Er zu Recht Frucht erwarten. Ja, Er hatte für alles gesorgt, hatte alle Vorkehrungen getroffen, damit der Feigenbaum optimale Bedingungen vorfand, um Frucht bringen zu können. Wir finden diesen Gedanken im Lied vom Weinberg (der ebenfalls ein Bild für Israel ist):

1 Nun will ich singen von meinem Geliebten, ein Lied meines Lieben von seinem Weinberg: Mein Geliebter hatte einen Weinberg auf einem fruchtbaren Hügel. 2 Und er grub ihn um und säuberte ihn von Steinen und bepflanzte ihn mit Edelreben; und er baute einen Turm in seine Mitte und hieb auch eine Kelter darin aus; und er erwartete, dass er Trauben brächte, aber er brachte schlechte Beeren. Jes 5, 1. 2

Es lag also weder am Herrn noch an den Umständen, dass der Feigenbaum (bzw. der Weinberg) keine Frucht brachte. Es war alles in bester Ordnung, und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge hätte die Frucht hervorkommen müssen.

Dass keine Frucht zu finden war, war also dem Feigenbaum selbst zuzuschreiben. Der Ungehorsam Israels und die Bosheit der Herzen der Israeliten waren der Grund dafür, dass keine Frucht zu finden war, als der Herr danach suchte. Von Bedeutung ist aber auch die Tatsache, dass der Feigenbaum reichlich Blätter trug, so dass man von ferne Frucht erwartete. Mit diesen Blättern täuschte der Feigenbaum über seinen Zustand hinweg, verbarg er die Tatsache, dass er keine Frucht trug. Unweigerlich erinnert uns diese Tatsache an das Handeln Adams und Evas nach dem Sündenfall: 7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie erkannten, dass sie nackt waren; und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze 1. Mose 3, 7. Adam und Eva bedeckten ihren sündigen Zustand durch eigene Werke, indem sie Blätter nahmen und damit ihre Scham bedeckten. Bildlich gesehen versuchten sie, durch gute Taten über ihren sündigen Zustand hinwegzutäuschen. Das Urteil unter Gottes prüfendem Blick lautete jedoch: Ich bin nackt. Eigene Werke können den wahren Zustand nicht verdecken.

Der Herr ermahnt uns unzählige Male – besonders eindrücklich ist das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner (Lk 18, 9–14) –, unseren Zustand Ihm gegenüber offen zu bekennen, nicht mit Blättern über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass wir keine Frucht bringen. Wer weder Frucht noch Blätter trägt, steht zu seinem Mangel. Wendet er sich mit diesem Mangel an den Herrn und erwartet er von Ihm eine entsprechende Antwort und Lösung, so wird Er ihm zu Frucht verhelfen und seine Schande bedecken, wie Er auch Adam und Eva, nachdem sie bekannt hatten, dass sie – trotz Feigenblätter – nackt waren, Leibröcke aus Fell anfertigte.

Wer sich jedoch mit Blättern schmückt, obwohl er keine Frucht bringt – das gilt in besonderer Weise für Israel, aber auch für alle anderen Menschen –, verschliesst sich der Gnade Gottes und fordert Lohn, der ihm nicht zusteht (vgl. Röm 11, 6). Die Pharisäer, die ihre Frömmigkeit zelebrierten und demonstrierten, wie niemand sonst, die mit all ihren Blättern überaus ansehnlich erschienen, wurden vom Herrn härter getadelt als irgendjemand sonst: 7 Ihr Heuchler! Treffend hat Jesaja von euch geweissagt, indem er spricht: 8 ‹Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir. 9 Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren› Mt 15, 7–9. Täuschen wir uns nicht! Wer seine Not vor Gott nicht erkennt, wer sie zu überdecken versucht, dem wird es eines Tages gleich ergehen wie dem Feigenbaum.

Wer jedoch seine Not erkennt, dem verschliesst sich der Herr nicht. In Seiner Gnade hatte Er, als Er hier auf Erden war, zwar keine Gemeinschaft mit den Pharisäern und Schriftgelehrten (die reichlich Blätter trugen), dafür aber mit den Zöllnern und Huren (die keine Blätter trugen). Ihnen wandte Er sich zu, indem er gleichsam bezeugte, dass Er eine Antwort auf ihre Not hat. So sollen auch wir handeln: Wir dürfen und sollen mit Ungläubigen Gemeinschaft haben (nicht aber mit ihnen unter einem Joch sein; vgl. 2. Kor 6, 14–18), nicht aber mit solchen, die sich «Brüder» (d. h. Christen) nennen, es aber nicht sind.

Frucht hervorbringen

Nach der natürlichen, von Gott geschaffenen Ordnung bringt jede Pflanze, die lebt, Frucht hervor. Gerade die Frucht ist ein zuverlässiges Zeichen dafür, dass die Pflanze noch Leben in sich hat. Wenn Israel mit einem Feigenbaum verglichen wird, so bedeutet dies auch, dass Israel, wenn es Leben in sich gehabt hätte, Frucht hervorgebracht hätte. Diese Frucht wäre unmittelbare Folge des Vorhandenseins dieses Lebens gewesen, nicht ein künstlich geschaffenes Werk. Was für Israel gilt, gilt für im weiteren Sinn für alle Menschen: Wer Leben in Gott hat, bringt die Frucht Gottes hervor (vgl. Gal 5, 19–23).

Der Herr Jesus vergleicht sich selbst mit einem Weinstock und uns mit Reben, die an diesem Weinstock hängen (Joh 15, 1–8). Dies ist ein schönes Gleichnis, das in einfacher Art und Weise das gerade Ausgeführte veranschaulicht: Jeder Weinstock, der nicht abgestorben ist, bringt Frucht hervor; über kurz oder lang wachsen an den Reben, die an diesem Weinstock sind, Trauben, die geerntet werden können. Die Trauben sind dabei das Ergebnis des Lebens, das im Weinstock ist, beziehungsweise des Lebens, das in den Reben ist, die am Weinstock sind. Die Frucht kommt von selbst, wenn Leben vorhanden ist, und deshalb ist sie auch (und einzig) ein deutliches Zeichen dafür, dass die jeweilige Rebe Leben in sich hat. Die Rebe hat aber nur Leben in sich, wenn sie mit dem Weinstock aufs Engste verbunden ist, denn der Weinstock ist es, der über seine Wurzeln Nährstoffe und Wasser bezieht, mithin in sich selbst Leben hat und dieses Leben an die Reben «weitergeben» kann. Nicht die Rebe bringt also Frucht hervor, sondern der Weinstock. Die Rebe hat lediglich dann ihr Teil daran, wenn sie mit dem Weinstock verbunden ist. Deshalb lautet die Aufforderung des Herrn Jesus an alle, so nah wie möglich mit Ihm verbunden zu sein. Das ist das einzige Geheimnis des Hervorbringens von göttlicher Frucht. Hängen wir uns also mit ganzer Kraft an Ihn!