Richtiges Mass
Als Christen sollen wir massvoll oder gemässigt leben. Das heisst unser Lebenswandel soll in verschiedener Hinsicht einem bestimmten Mass entsprechen. Zorn oder Jähzorn, Gier, Neid, Lust, kurz: alles, was mit (allzu) menschlichen Ausprägungen zusammenhängt, soll ein gewisses Mass nicht überschreiten. An verschiedenen Stellen in der Heiligen Schrift finden wir den Ausspruch: «Mit welchem Mass ihr messt, wird euch zugemessen werden». Wer die entsprechenden Stellen aufmerksam liest, stellt fest, dass dieser wichtige Grundsatz verschiedene Ausprägungen hat.
Die erste Ausprägung ist die, welche wohl den meisten von uns bekannt ist: 2 Denn mit welchem Urteil ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Mass ihr messt, wird euch zugemessen werden
Mt 7, 2. Wie schnell sind wir doch darin, andere zu richten und zu verurteilen! Sehen wir einen anderen Christen sündigen, weisen wir ihn nur zu oft nicht in Liebe und im Wissen um unsere eigene Fehlbarkeit auf seinen Mangel hin, sondern richten und verurteilen ihn zumindest in Gedanken. Von einem Bruder, der zum siebten Mal denselben Fehler begeht, denken wir, er werde es ganz gewiss nie lernen. Dabei denken wir nicht daran, dass der Herr auch die langsamsten und störrischsten Christen in jedem Punkt zurecht bringen kann, und vergessen, dass es in unserem eigenen Leben ebenfalls Punkte gibt, die immer und immer wieder behandelt werden müssen, bis wir sie endlich begreifen. Wir sehen Splitter im Auge unserer Geschwister, bemerken aber den Balken in unserem eigenen Auge nicht. Wissen wir, was der Herr zu solchen sagt, die so denken? 5 Du Heuchler!
Mt 7, 5. Der Herr Jesus hat sich völlig anders verhalten: 20 Ein geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen, und einen glimmenden Docht wird er nicht auslöschen
Mt 12, 20; vgl. auch Jes 42, 3. Solange ein Mensch lebt, besteht Hoffnung für ihn. Der Herr kann jeden wunden Punkt behandeln. Daher hat Er – und sollen wir – die Dinge zwar umfassend beurteilt, aber die Menschen weder verurteilt noch gerichtet, sondern ihnen geholfen, heil zu werden. Jeden noch so kleinen Funken hat Er in den Menschen gesehen und anzufachen versucht, während wir nur zu schnell den glimmenden Docht ganz auslöschen und das geknickte Rohr ganz zerbrechen würden. Denken wir auch an David: Saul war als König bereits verworfen, hatte Sünde auf Sünde angehäuft und setzte alles daran, David zu töten, doch David vergriff sich nicht an ihm, weil er der Gesalbte des Herrn war. Mindestens zweimal hätte David Saul ohne weiteres töten können. Doch er tat es nicht, denn er war barmherzig und wartete das Eingreifen des Herrn ab (vgl. 1. Sam 24, 8 und 1. Sam 26, 9). Deshalb erwies der Herr auch ihm Barmherzigkeit. Später nahm er sich nämlich eine verheiratete Frau (Bathseba, die Frau Urijas) und vertuschte diese todeswürdige Sünde mit dem Mord an Urija. David hätte also doppelt den Tod verdient. Doch der Herr war ihm gnädig, wie er Saul gnädig gewesen war. Weil David das Schlechte (das Verurteilen und Richten) auf ein Mindestmass begrenzt hatte, empfing er später auch nur ein Mindestmass an Schlechtem. Genauso sollen wir uns verhalten. Wir sollen die schlechten Gedanken und Gefühle anderen Menschen gegenüber, die hie und da aufkommen können, auf ein absolut minimales Mass begrenzen. Dann wird auch der Herr uns mit einem solchen minimalen Mass an Vorwürfen zumessen. Denken wir immer daran: Wir können allen Menschen um uns herum den ganzen Tag (berechtigte oder unberechtigte) Vorwürfe machen und werden das Mass von dem, was der Herr uns vorwerfen könnte, nicht ausschöpfen! Daher: 2 Denn mit welchem Urteil ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Mass ihr messt, wird euch zugemessen werden
Mt 7, 2.
Auch in Bezug auf das Gute sollen wir allerdings massvoll sein: 38 Gebt, und euch wird gegeben werden: Ein gutes, gedrücktes, gerütteltes und überlaufendes Mass wird man in euren Schoss geben; denn mit demselben Mass, mit dem ihr messt, wird euch wieder zugemessen werden
Lk 6, 38. Dieses Prinzip ist bereits in den Sprüchen vorgestellt worden: 24 Da ist einer, der ausstreut, und er bekommt noch mehr; und einer, der mehr spart, als recht ist, und es ist nur zum Mangel
Spr 11, 24. Tag für Tag segnet der Herr uns mit Gutem. Er gibt uns im Überfluss – Irdisches und Geistliches. Wie unpassend ist es da, geizig und habsüchtig zu sein! Wenn ich beispielsweise an den Johannisbeerstrauch in unserem Garten denke: Da wachsen Jahr für Jahr unzählige köstliche Beeren. Es sind jeweils so viele, dass wir davon einige Kilogramm Gelee herstellen können. Würde ich eine Nachlese halten, könnte ich vielleicht noch ein Kilogramm mehr pro Jahr ernten. Der Gedanke daran gefällt mir aber nicht. Würde ich dies tun, käme ich mir vor wie jemand, der von Seiten des Herrn zu kurz gekommen ist und nun alles Wenige zusammenkratzen muss. So ist es aber nicht! Ich kann mit Freude den Vögeln und Tieren einiges am Strauch lassen und vom fertig hergestellten Gelee noch etwas verschenken; trotzdem haben wir mehr als genug. Leider liegt es auch in der Natur des Menschen, allen Besitz zusammen zu halten, habsüchtig und gierig zu sein und das Geld zu lieben. Wenn wir von all dem Guten, das der Herr uns gibt, mehr als recht ist, zurückhalten, wird Er uns gegenüber auch zurückhalten. Wozu sollte Er uns segnen, wenn wir den Segen nicht gewinnbringend einsetzen, sondern in einer bösen Haltung zurückhalten? Wie viel lieber wird Er doch den segnen, der den Segen weiterfliessen lässt, aus dessen Leib Ströme lebendigen Wassers fliessen! So sehr wir das Schlechte also auf ein Mindestmass beschränken sollen, so sehr sollen wir das Gute maximal fliessen lassen. Denken wir auch diesbezüglich wieder an den Herrn Jesus: Er hatte immer Zeit für die, die Ihn suchten, auch wenn es unpassend war und obwohl Er wusste, wie Ihm das Gute, das Er tat, gedankt werden würde. Allen, denen Er begegnete, war Er zum Segen, für alle war Er reich. Verhalten wir uns ähnlich? Interessant ist, dass es diesbezüglich nicht wie bezüglich des Verurteilens und Richtens einfach heisst: «Mit welchem Mass ihr messt, wird euch zugemessen werden», sondern vielmehr gesagt wird, dass uns ein bis oben voll gestopftes und überlaufendes Mass gegeben werden wird! Salopp ausgedrückt, vergilt uns der Herr das Schlechte gewissermassen eins zu eins, während Er das Gute zwei zu eins vergilt. Wie sehr zu loben ist Er doch!
Ein dritter Aspekt ist noch von Bedeutung, nämlich das Mass, mit dem wir hören: 24 Und er sprach zu ihnen: Gebt Acht, was ihr hört; mit dem Mass, mit dem ihr messt, wird euch zugemessen werden, und es wird euch hinzugefügt werden
Mk 4, 24. Diesen Ausspruch finden wir im Zusammenhang mit dem Gleichnis von der Lampe (die wir nicht unter den Scheffel oder unter das Bett, sondern auf den Lampenständer stellen sollen). Mitten in Seinen Ausführungen hat der Herr gesagt: 23 Wenn jemand Ohren hat, zu hören, der höre!
Mk 4, 23. Dies hat Er sonst jeweils am Ende Seiner Ausführungen gesagt; hier hat Er es mitten in den Ausführungen gesagt, gefolgt vom oben zitierten Vers, wonach wir Acht geben sollen, was wir hören. Das hier erwähnte Mass muss also im Zusammenhang mit dem Hören (oder dem daraus folgenden Leuchten als Himmelslichter in einem verkehrten und verdrehten Geschlecht; vgl. Phil 2, 15) stehen. Demzufolge gilt also, dass dem, der viel und gerne hört, auch viel gegeben wird. Dem aber, der nicht hört, wird sogar das früher Gegebene wieder genommen. Diesen Grundsatz haben wir vielleicht schon im Leben beobachtet: Wer ein Interesse für das Wort Gottes hat, nimmt in der Erkenntnis meist relativ rasch zu. Wer kein Interesse hat, versteht teilweise selbst einfache Zusammenhänge nicht. Wer einen bösen Weg eingeschlagen hat, kann früher gewonnene Erkenntis verlieren und in Bezug auf Dinge, die er früher klar im Lichte des Wortes Gottes beurteilt hat, nun falsch urteilen. Natürlich können wir die Erkenntnis nicht herbeizwingen. 2 Gottes Ehre ist es, eine Sache zu verbergen, aber der Könige Ehre, eine Sache zu erforschen
Spr 25, 2. Der Herr Jesus selbst hat Verschiedenes so erzählt, dass selbst die gebildetsten und klügsten Zuhörer es nicht verstanden haben (während die «einfach gestrickten Gemüter» verstanden haben, was Er gesagt hat). Wie man sein Leben nicht verlängern oder einen Grashalm mit Ziehen schneller aus der Erde wachsen lassen kann, kann man die Erkenntnis Gottes nicht herbeizwingen. Man kann stundenlang in der Bibel lesen und doch nichts verstehen. Umgekehrt kann man aber bloss wenige Verse mit aufrichtigem Herzen lesen und alles verstehen. Entscheidend ist unsere Herzenshaltung: Mit welchem Mass wollen wir hören? Wie bereitwillig wollen wir hören? 2 Vergeblich ist es für euch, dass ihr früh aufsteht, spät aufbleibt, das Brot der Mühsal esst; so gibt er seinem Geliebten im Schlaf
Ps 127, 2. Die aufrichtigen Zuhörer werden wie im Schlaf in der Erkenntnis wachsen. Die sich Abmühenden mühen sich dagegen vergeblich ab. Selbstverständlich spielt es aber auch eine Rolle, ob wir unseren Geist den ganzen Tag hindurch mit Nichtigem (Schlagzeilen, Irdisches etc.) oder mit Wertvollem «füttern». Wer nur eine Minute pro Tag Zeit findet, um in der Bibel zu lesen, während er stundenlang beispielsweise in irgendwelchen Internetforen blättern kann, dem wird von Seiten des Herrn nicht allzu viel gegeben werden. Wer aber aufrichtig in der Erkenntnis zunehmen will, wird sich mit der Zeit von selbst mit Wertvollem beschäftigen und das Nichtige mehr und mehr liegen lassen. Entscheidend ist, ob wir das wollen. 5 Wenn aber jemand von euch Weisheit mangelt, so erbitte er sie von Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft, und sie wird ihm gegeben werden
Jak 1, 5.
Liebe Geschwister, lasst uns also das Schlechte (insbesondere das Verurteilen und Richten) auf ein minimales Mass beschränken und das Gute (insbesondere Gaben, gute Worte etc.) sowie unsere Bereitschaft zu hören auf ein maximales Mass ausdehnen!